Engel der Kindheit
Höhlen lagen die Augen, waren dunkel umschattet und hatten ihren Glanz verloren. Zärtlich legte er ihr die Blumen auf ihre Beine, kniete sich zu ihr nieder, nahm ihre Hand fest in seine und streichelte ihren knochigen Handrücken.
„Da hat er Recht!“ Wieder konnte sie nicht weiterreden, presste die Hand vor den Mund und hustete hohldröhnend.
„Sag besser nichts! Ich sehe ja, wie schwer dir das Sprechen fällt! ... Das ist die Strafe, weil du im letzten Sommer nicht zu uns gekommen bist! Jetzt hat dich das Schicksal hierher getrieben und du musst länger auf Amrum bleiben!“ Schalkhaft blitzten seine wasserblauen Augen, die von Lachfältchen eingekreist waren, in seinem vertrauten Gesicht.
Ein erbärmliches Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, sie nickte ihm stumm zu, hielt die Hand vorsorglich vor ihren Mund.
„Solltest du nicht schon bald in Australien sein?“ Bohrend brannte die Frage in seinem Herzen, er musste einfach wissen, ob Lena noch mit diesem Nils zusammen war.
Augenblicklich sah er den tiefen Schmerz in ihren Augen, sie brauchte nicht zu antworten, er kannte die Antwort bereits.
Stumm schüttelte sie den Kopf, setzte an zu sprechen, doch Krischan legte seinen Finger auf ihre aufgesprungenen Lippen.
„Nicht, ich weiß es! Er hat eine Andere!“
Traurig nickte Lena, Tränen traten in ihre Augen, es tat so weh! Dieser Schmerz in ihrer Brust, der sie zerstörte.
„Sei nicht traurig! Er hat dich nicht verdient! Wer eine Frau wie dich haben kann und eine andere dir vorzieht, dem kann nicht geholfen werden!“ Bitterkeit lag in seinem Blick. So lange Jahre hatte er vergeblich versucht Lena für sich zu gewinnen und nun hatte ihr dieser Mann den Laufpass gegeben. Das hatte sie nicht verdient! Lena am Allerwenigsten!
Mitfühlend zog Krischan sie in die Arme, er spürte ihre zarten Hände, die sich leicht auf seinen Rücken legten, fühlte ihre Tränen an seiner Schulter.
Räuspernd trat Doktor Erhardt auf ihre Terrasse und sah das rührende Bild. „Na, wenn das nich man der Krischan is! Was führt dich zu uns? Sag bloß, ihr kennt euch?“
Glücklich strahlten Krischans Augen Tobias Erhardt an.
„Seit unserer Kindheit! Wir sind durch die Dünen gerannt und Lena musste jeden Dünenfloh beobachten, den sie zu sehen bekam!“ Bei der Erinnerung lachte er fröhlich, tiefe Grübchen bildeten sich in seinen Wangen, strahlte Lena an, die er noch immer an seiner Schulter hielt.
„Na, dann kann ja nichts mehr schief gehen! Wenn Sie von Krischan so gepflegt werden, wie er seine Heuler aufpäppelt, werden Sie in eine paar Wochen durch die Dünen rennen, als sei nichts geschehen!“ Aufmunternd sah Doktor Erhardt seine Patientin an, die ihren Kopf müde an Krischans Schulter gelegt hatte. Insgeheim machte er sich große Sorgen um sie und wusste nicht, ob sie jemals wieder voll genesen würde.
Aufopfernd kümmerte sich Krischan um Lena. Jeden Tag kam er, saß neben ihrem Liegestuhl, erzählte ihr lustige Geschichten und brachte sie damit zum Lachen.
Als sie die ersten Spaziergänge unternehmen durfte, war er an ihrer Seite, reichte ihr seinen kräftigen Arm, an dem sie sich festhalten und stützen konnte.
„Danke, dass es dich gibt!“ Ermattet ließ Lena sich in ihren Liegestuhl gleiten. Über die Spitze der Düne waren sie gelaufen, bis dahin, wo Lena das brausende Meer sehen konnte. Breite Wellenbänder, auf denen die weiße Gischt tanzte, waren vom kalten Wind an den Strand getrieben worden.
„Ich genieße jede Sekunde mit dir! Ein Gutes hat deine Krankheit, du kannst mir wenigstens gerade nicht davonrennen!“ Amüsiert zwinkerte er ihr zu.
Über seine Bemerkung musste sie lächeln, denn sie wusste, dass er Recht hatte. Wahrscheinlich wäre sie schon über alle Berge, wenn sie gekonnt hätte.
Von weitem beobachtete Tobias Erhardt das Pärchen, das händchenhaltend auf der Terrasse saß. Ermahnend hatte er einzeln mit beiden ein ernstes Gespräch geführt, hatte sie davor gewarnt, dass sie keine Küsse austauschen dürften, erst Recht keine Intimitäten. Noch immer heilte die Lungenentzündung nicht ab, die Lungenbläschen waren schwer geschädigt und offen, bei direktem Speichel- oder Sekretaustausch wäre eine Ansteckung sehr wahrscheinlich.
Vernichtend hatte Krischan ihn angeblickt, während die junge Frau Verständnis für seine Äußerung gehabt hatte. Sie spürte, dass es ein weiter Weg war, bis sie wieder gesund sein würde.
„Krischan, nicht so schnell!“ Lachend lief Lena
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