Engel der Kindheit
einer guten Stunde bei Herrn Doktor Schultheiß. Er hat die Vollmachten unterschrieben, um sein Haus und Grundstück zu verkaufen, das er von seinen Eltern geerbt hat. Ich möchte dieses Grundstück kaufen!“ Aufrecht schritt Lena vor die hohe Theke der Anmeldung, hinter der die Sekretärin in einem schwarzen Schreibtischstuhl vor einer Computertastatur saß. Die Brille war bis auf ihre Nasenspitze gerutscht, über die Gläser hinweg wurde Lena von kalten Augen gemustert.
„So geht das nicht! Es wird eine öffentliche Ausschreibung stattfinden oder das Gelände wird versteigert werden!“ Spitz fuhr die unfreundliche Frau Lena an.
Ein penibler Mann mit schneeweißen Haaren, Lena schätzte ihn auf Anfang Sechzig, kam über den langen Korridor, dessen dunkler, abgeschabter Teppich deutliche Laufspuren aufwies.
All ihren Mut zusammennehmend schritt Lena dem älteren Mann entgegen, da sie wusste, dass ihr Glück davon abhing, dieses Grundstück zu erwerben. „Herr Doktor Schultheiß?“
Fragend sah der weißhaarige Mann sie an, er war es nicht gewohnt, angesprochen zu werden, wenn er aus seinem Büro kam. Für Termine war Frau Müller zuständig.
„Ich möchte das Grundstück kaufen, zu dessen Verkauf Nils Keller Sie vor über einer Stunde bevollmächtigt hat!“ Insgeheim betete Lena, die die kritischen Blicke des Notars über ihr Gesicht wandern sah, dass er trotz ihrem Aussehen ihren Wunsch erfüllen würde.
„Ihre Sekretärin hat mir bereits gesagt, dass es normalerweise ausgeschrieben werden muss, aber ich möchte Sie bitten, eine Ausnahme zu machen. Ich werde den Preis bezahlen, den Herr Keller oder Sie angesetzt haben. Bitte! Es ist sehr wichtig für mich!“ Flehend sahen Lenas Augen den Notar an.
„Kommen Sie mit!“ Erstaunt über sich selbst, schritt er vor Lena über den Korridor, öffnete eine schwere Holztür und bot ihr vor dem wuchtigen Kirschbaumholzschreibtisch Platz an.
In einem alten Ledersessel, hinter dem Schreibtisch, nahm er selbst Platz, holte die Unterlagen aus einer Schublade und schlug die Seiten auf, die Nils vor Kurzem unterschrieben hatte.
Knapp nannte er ihr eine Summe, für die sie das Grundstück angesetzt hatten. Zustimmend nickte Lena, ihre Eltern hatten immer Geld für sie angelegt. Natürlich hatte sie nicht den ganzen Betrag zur Verfügung, aber sie konnte den Rest problemlos über die Bank finanzieren.
„Wenn Sie bereit sind, ohne zu verhandeln, den Betrag zu zahlen, werde ich die Verträge bis Anfang nächster Woche aufsetzen. Sie müssten mir nur einen kurzen Vorvertrag unterzeichnen!“ Auffordernd hielt Doktor Schultheiß seinen Füllfederhalter in der Hand, füllte ihren Namen, Geburtsdatum und die Adresse von ihrem Personalausweis in ein vorgedrucktes Formular, las ihr vor, was sie zu unterschreiben hatte und reichte Lena das Papier und einen goldglänzenden Kugelschreiber.
Schwungvoll setzte Lena die Unterschrift unter den Vorvertrag.
Dankend erhob sie sich, reichte Doktor Schultheiß freundlich die Hand und verabschiedete sich.
Als sie das Freie betrat, setzte sie sich auf die Mauer, schloss die Augen und dachte an Nils. Es war für sie nicht vorstellbar, ihn nie wieder in ihrem Leben zu sehen. Sie wollte und konnte es nicht glauben. Unumstößlich gehörten sie zusammen, sie waren füreinander vorbestimmt. Das, was sie schon lange in ihrem Herzen gespürt hatte, wusste sie seit gestern mit absoluter Sicherheit.
Gemächlich ging Lena zu ihrem Wagen und fuhr nach Hause. Auf die schlimmsten Vorwürfe ihrer Mutter war sie gefasst und wunderte sich, als sie das Haus aufschloss und ihre Mutter ihr mit verständnisvollem Lächeln entgegensah.
„Lena? Wo ist Nils?“ Bedauernd sah sie die rotverweinten Augen ihrer Tochter.
„Auf dem Weg nach Australien!“ Lena, die spätestens jetzt mit einem zornigen Ausbruch ihrer Mutter rechnete, glaubte sich verhört zu haben, als sie mitfühlend sagte: „Du Arme!“
„Mama? Was ist los? Ich dachte, du reißt mich in Stücke, weil ich die Nacht mit Nils verbracht habe und er trotzdem wieder zurückgeflogen ist! Mama, er wird nie wiederkommen!“
Tapfer kämpfte Lena mit ihren Emotionen und hatte trotzdem in aller Klarheit zu ihrer Mutter gesprochen. Aufrichtig sah sie diese an. Nichts hatte sie sich vorzuwerfen. Nur ihren Gefühlen war sie gefolgt.
„Ich habe euch gestern Abend gesehen! Ich weiß, dass du ihn liebst, aus ganzem Herzen, so wie er dich liebt! Ich werde alle deine Entscheidungen akzeptieren, du
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