Engel der Kindheit
erschüttert sah Lena ihn an.
„Lena, es muss sein, anders komme ich aus dieser Familie nicht heraus! Freiwillig würden sie mir Sam nie überlassen! Über den gesamten Globus würden sie mich verfolgen, nur um ihn mir wegzunehmen. Ich werde aufpassen, aber es ist ein dünnes Eis, auf dem ich mich bewege. Ich weiß nicht, wie die Familie Rodney auf Erpressung reagiert!“ Entschuldigend sah er sie an, wusste, welche Nervenkraft er von ihr verlangte.
Lange saß sie einfach da, sagte gar nichts darauf und sah ihm in die Augen. „Nils, ich vertraue dir in all deinen Entscheidungen. Ich weiß, dass wenn du keine Chance sehen würdest, dass du es nicht riskieren würdest. Ich wünsche mir nichts mehr als ein Leben an deiner Seite. Und dass werden wir nur bekommen, wenn du das Kapitel Rodney hinter dir schließen kannst. Pass auf dich auf! Wir alle lieben und brauchen dich!“
„Ich werde auf mich Acht geben, aber ich muss es wagen! Wenn das Ergebnis unseres Bluttests da ist, werde ich entscheiden, wann ich gehe!“ Überlegend sah er auf seine Armbanduhr. „Jetzt sollte ich bei Marie-Luise anrufen, bevor sie Gift und Galle spuckt und uns die Polizei auf den Hals hetzt, wegen Kindesentführung. Wir haben einfach unsere Sachen gepackt und sind abgehauen!“ Bedrückt spielte er mit ihren strohglänzenden, langen Locken. „Lena... um ein Haar hätte ich sie umgebracht! Sie hat Sam geschlagen... wenn er mich nicht zur Vernunft gerufen hätte, hätte ich...“, hinter seinen geschlossenen Lidern sah er die Szene abermals vor sich. „Lena, du kannst unmöglich mit mir zusammen sein wollen, ich bin unberechenbar! Ich könnte zum Mör...“
„Pst! Ich weiß, wie es in dir aussieht! Du kannst Gewalt nicht ertragen, du musstest zu viel aushalten, aber bei uns wird es keine Gewalt geben! Ich liebe dich so sehr! Ich hätte auf dich gewartet, bis ich alt und grau gewesen wäre! Ich konnte mit dem Gedanken nicht leben, dass ich dich nie wiedersehen sollte! Spätestens, wenn Sam erwachsen geworden wäre, hätte ich mich bei dir gemeldet!“ In ihren Augen konnte er den tiefen Ernst ihrer Worte sehen.
„Mama... schläft!“ Schmollend kam Nele auf ihren kleinen Beinen in das Esszimmer und deutete trotzig zum Sandkasten.
Gemeinsam standen Lena und Nils auf, forschend sah Nils das kleine Mädchen an, das Sam wie aus dem Gesicht geschnitten ähnelte. Wie Sam, so hatte Nele von ihm seine engstehenden Augen geerbt, das tiefe Dunkelblau mit den weißen Sprenkeln, die schlanke Nase und das schmale Gesicht.
Leise lachte Lena, als sie Sam auf dem aufgetürmten Sandberg liegen sah. Schlaff waren seine Arme heruntergesunken, der Kopf lag hängend auf der Sandburg.
Leichtfüßig und flink lief sie zu Sam, nahm ihn vorsichtig auf ihre Arme, stützte seinen Kopf, schüttelte den nassen Sand aus seinem Haar und haucht ihm einen federleichten Kuss auf die blassen Wangen, eng drückte sie ihn an ihren Körper.
Jede ihrer liebevollen Bewegungen saugte Nils in sich ein. Erfüllt von Liebe war sein Herz für sie. Selbstverständlich nahm sie sein Kind in ihrem Herzen auf, das er im Feuer der Leidenschaft mit einer anderen Frau gezeugt hatte.
Den Kopf schräg haltend stand Nele grübelnd vor ihm und sah ihn skeptisch an. Vor ihr ging er in die Knie und lächelte sie an. „Hallo, Nele! Ich bin dein Papi!“ Offen reichte er ihr seine breite Hand, die sie kritisch musterte, überlegende Falten standen steil über ihrer Nasenwurzel, die er von sich nur zu gut kannte.
„Mama!“ Fragend deutete sie mit ihrem ausgestreckten Finger auf Lena, die mit Sam auf dem Arm zur Terrassentüre hereinkam.
„Ja, mein Schatz? Das ist der Papi! Du brauchst keine Angst zu haben!“ Schmunzelnd sah sie die großen, überraschten Augen ihrer Tochter. Sicherheitshalber kam sie auf Lena zugerannt und hielt sie an dem Hosenbein ihrer Jeans fest.
„Kommt, jetzt bringen wir Sam ins Bett! Er darf in Babs Bett schlafen, bis er sein eigenes hat!“ Mühelos trug Lena ihn über die weiße Steintreppe ins Obergeschoss. Dort öffnete sie eine
Holztür, hinter der ein liebevoll eingerichtetes Kinderzimmer zum Vorschein kam. Helle, gemütliche Holzmöbel standen darin. Der grasgrüne Teppichboden war mit lustigen Tieren befleckt, kunterbunte Kinderstühle und ein kleiner Kindertisch erfüllten die Mitte des Zimmers. Über dem kuscheligen Bett waren Pferdeposter angebracht. Umrahmt von einem luftigen, zitronengelben Vorhang war das Fenster, mit Blick auf den
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