Engel der Kindheit
leuchtende Kraft zu ihm schickten, erreichten seine Gedanken nicht.
Es dämmerte bereits, als er sich doch noch entschloss, zu Bett zu gehen. In seinen Träumen sah er Lena, deren traurige Augen ihn anblickten, sie wendete sich von ihm ab, um hinter einer dichten, undurchlässigen Nebelwand zu verschwinden.
Schweißgebadet wachte er auf, saß kerzengerade im Bett und barg den Kopf zwischen seinen nackten Knien.
Solch einen Traum hatte er befürchtet. Deswegen war er nicht zu Bett gegangen!
Lena! Voller Sehnsucht stand Nils auf, setzte sich an den Schreibtisch, holte sein Briefpapier hervor und starrte auf den weißen Bogen. Nichts war in ihm, das er ihr schreiben konnte. Nach über einer Stunde war der Bogen noch genauso weiß, er brachte nicht einmal seine gewohnte Anrede auf das Blatt Papier.
Ruhelos zog er seine Sportklamotten über, band sich die Schuhe und verließ rennend das Haus. Heiß brannte die Sonne vom Himmel, aber Nils rannte, wie um sein Leben. Verzweifelt wollte er die Last abschütteln, die auf seinem Herzen brannte, aber sie lief mit ihm mit und ließ sich nicht entfernen.
Gehetzt rannte er in dem Schatten der Bäume, über die Küstenstraße, bis zu einem Vorort Sydneys, nur um festzustellen, dass er sich noch genauso elend fühlte, wie zuvor.
Am Montagmorgen begann Nils seine Arbeit im Konstruktionsbüro. Süffisant lächelnd erwartete Samuel Rodney ihn und führte ihn zu einem gläsernen Büro, an dessen Türe Nils Namen prangte.
„In Zukunft erscheinen Sie hier im Anzug, verstanden? Die Zeit Ihrer handwerklichen Tätigkeit ist vorbei! Sie haben Ihren Masterabschluss im Schiffbau, das ist ein gewisser Stand, der Sie abhebt von den Arbeitern! Halten Sie sich daran!“ Furchteinflößend streng zogen sich seine buschigen, ohnehin kaum getrennten Augenbrauen zusammen, die Adleraugen musterte ihn in seiner Jeans und seinem schiefergrauen Hemd, das er heute Morgen frisch aus dem Schrank genommen hatte.
„Anzug und Krawatte! Sie werden an Besprechungen teilnehmen, korrekte Kleidung ist ein Muss! Hier ist Ihr Büro! Ihre Sekretärin, Frau Smith, erledigt Ihren Schreibkram, Sie haben sich um Ihre Ideen zu kümmern, Ihnen unterstellt sind Mathew Brown, der Sie bei der Durchführung Ihrer Pläne unterstützen und Ihre Entwicklungen ins Reine zeichnen und weiterleiten wird. Und Henry Nelson, an den Sie sich in Finanzfragen wenden müssen! Heute Morgen ist ein Auftrag für eine ausgefallene Segeljacht eingegangen, die Unterlagen liegen detailliert auf Ihrem Schreibtisch! Gutes Gelingen!“ Salopp klopfte Samuel Rodney Nils auf den Rücken.
Die mattierte Glastür schloss sich hinter ihm, Nils stand verlassen in einem großen, sonnendurchfluteten Raum. Ein großer Mahagonischreibtisch, auf dem sich ein Bildschirm mit Tastatur, ein Telefon und eine Gegensprechanlage befanden, stand vor einem, über die gesamte Länge der Wand reichendem Regal, dessen Fächer leer waren. Ein wuchtiger schwarzer Ledersessel, zwischen dem Regal und dem Schreibtisch, sowie zwei schwarze Besucherstühle waren ordentlich vor den Schreibtisch angeordnet worden. In der linken Ecke des Büros befand sich ein runder Drehstuhl vor einem schrägen Zeichenbrett, daneben ein Waschbecken mit einem Spiegel darüber.
Benommen setzte Nils sich in den Ledersessel. Vollkommen anders hatte er sich seine Arbeit vorgestellt. Eigentlich hatte er gedacht, dass er in die Konstruktionsabteilung kommen würde, in der er die letzten Wochen gearbeitet hatte. Niemand hatte ihn darauf vorbereitet, dass er ein eigenes Büro zugewiesen bekam.
Interessiert sah er sich die Unterlagen durch, die auf seinem Schreibtisch lagen. Für einen Politiker der Regierung sollte er eine Luxusjacht entwerfen, mit allem möglichen Schnickschnack.
Misstrauisch, er traute dem Ganzen nicht, nahm Nils den Computer in Betrieb, legte sich seine Stifte, Millimeterpapier, Lineal und Winkel auf dem Zeichenbrett zurecht. Am liebsten zeichnete er auf Papier, da flossen seine Gedanken ungehindert direkt von seiner Hand auf das Blatt. Die Arbeit am Computer beherrschte er zwar, aber sein Ideenfluss kam dabei nicht in Gang.
Wort für Wort las Nils ein weiteres Mal die Vorgaben durch, bevor er mit der Zeichnung begann.
Leise öffnete sich hinter ihm die Türe und schloss sich wieder. So in die Arbeit vertieft, wendete Nils nicht einmal den Kopf, er war mitten in einer seiner Ideen, die er sofort zu Papier bringen musste, als Marie-Luise sich zwischen ihn und sein Zeichenbrett
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