Engel Der Nacht
fasziniert mich.«
Ich hatte nicht die geringste Lust zuzugeben, dass Vee damit nicht alleine war. Tatsächlich fühlte ich mich von Patch angezogen, wie ich mich noch von niemandem sonst angezogen gefühlt hatte. Es gab da eine Art dunklen Magnetismus zwischen uns. Wenn er in der Nähe war, hatte ich das Gefühl, ich würde an den Rand der Gefahr gelockt. Und er konnte mich jeden Moment hinunterschubsen.
»Wenn ich dich das sagen höre, möchte ich …«, Ich hielt inne und versuchte herauszufinden, was genau Patchs Anziehungskraft mich eigentlich tun lassen wollte. Auf jeden Fall irgendetwas Unangenehmes.
»Sag mir, du findest nicht, dass er gut aussieht«, sagte Vee, »und ich werde seinen Namen nie wieder erwähnen.«
Ich streckte die Hand aus, um das Radio einzuschalten. Es musste doch noch etwas Besseres geben, als uns gegenseitig den Abend zu ruinieren, indem wir Patch dazu einluden, und sei es auch nur virtuell. Eine Stunde jeden Tag, fünf Tage die Woche neben ihm sitzen zu müssen, war schon weit mehr, als ich ertragen konnte. Ich würde ihm nicht auch noch meine Abende opfern.
»Nun?«, drängte Vee.
»Kann sein, dass er gut aussieht. Aber ich bin die Letzte, die das beurteilen könnte. Tut mir leid, bei dem Thema bin ich befangen.«
»Was soll das denn heißen?«
»Das heißt, ich kann einfach nicht über seinen Charakter hinwegsehen. Den kann er nicht ausgleichen, egal wie schön er ist.«
»Nicht schön. Er ist … scharf. Sexy.«
Ich verdrehte die Augen.
Vee hupte und trat auf die Bremse, als ein Wagen direkt vor ihr ausparkte. »Was jetzt? Bist du anderer Meinung, oder ist dunkel und gefährlich einfach nicht dein Typ?«
»Ich habe keinen Typ«, sagte ich. »So eng sehe ich das nicht.«
Vee lachte. »Du, Baby, siehst die Dinge mehr als eng - du bist total verklemmt. Dein Spektrum ist ungefähr so breit wie einer von Coachs Mikroorganismen. In unserer Schule gibt’s, wenn überhaupt, nur ganz wenige, für die du schwärmen könntest.«
»Das stimmt nicht«, antwortete ich mechanisch, doch noch während ich es aussprach, fragte ich mich, wie zutreffend das war. Ernsthaft hatte ich mich noch für überhaupt niemanden interessiert. Wie seltsam war ich eigentlich?
»Es geht nicht um Jungs, es geht um … Liebe. Ich hab sie noch nicht gefunden.«
»Es geht nicht um Liebe«, widersprach Vee. »Es geht um Spaß.«
Zweifelnd zog ich die Augenbrauen hoch. »Einen Jungen zu küssen, den ich nicht kenne - der mir egal ist -, das soll Spaß machen?«
»Hast du denn nicht aufgepasst in Bio? Es geht um eine Menge mehr als nur ums Küssen.«
»Oh«, sagte ich mit gespielter Fröhlichkeit. »Der Genpool ist schon verdorben genug, auch ohne dass ich noch dazu beitrage.«
»Willst du wissen, was ich glaube, wer echt gut wäre?«
»Gut?«
»Gut«, wiederholte sie mit einem sündhaften Lächeln.
»Nicht wirklich.«
»Dein Partner.«
»Nenn ihn nicht so«, sagte ich. »Das Wort ›Partner‹ hat eine positive Konnotation.«
Vee zwängte sich in eine Parklücke in der Nähe des Bibliothekseingangs und schaltete den Motor aus. »Hast du dir jemals vorgestellt, wie es wäre, ihn zu küssen? Hast du noch nie heimlich zur Seite geguckt und davon geträumt, dich ihm in die Arme zu werfen und deinen Mund auf seinen zu pressen?«
Ich starrte sie mit einem Blick an, von dem ich hoffte, dass er tiefstes Entsetzen ausdrückte. »Du etwa?«
Vee grinste.
Ich versuchte mir vorzustellen, wie Patch auf diese Information reagieren würde. So wenig ich über ihn wusste, so deutlich spürte ich seine beinahe mit Händen greifbare Abneigung gegen Vee.
»Er ist nicht gut für dich«, sagte ich.
Sie stöhnte. »Vorsicht, das bewirkt nur, dass ich ihn noch mehr haben möchte.«
In der Bibliothek suchten wir uns einen Tisch im Erdgeschoss aus, neben Romanen für Erwachsene. Ich klappte meinen Laptop auf und tippte: › Das Opfer . 2,5 Sterne‹. Zweieinhalb war wahrscheinlich etwas niedrig gegriffen. Aber mir schwirrte viel im Kopf herum, und mir war jetzt nicht nach ausgleichender Gerechtigkeit.
Vee riss eine Tüte mit getrockneten Apfelscheiben auf. »Willst du eine?«
»Nein danke.«
Sie lugte in die Tüte. »Wenn du sie nicht isst, dann muss ich es tun. Und ich habe nicht die geringste Lust darauf.«
Vee machte gerade eine Farbkreis-Obst-Diät. Drei rote Früchte am Tag, zwei blaue, eine Handvoll grüne …
Sie hielt eine Apfelscheibe hoch und musterte sie eingehend.
»Welche Farbe?«, fragte
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