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Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall

Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall

Titel: Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Die junge Frau, welche mit forschem Schritt dem Südportal
zustrebte, war nicht etwa seine Verlobte, sondern ein Geschöpf, wie er es selten
zuvor gesehen hatte.
    Ein bildhübsches Geschöpf, fürwahr. Berengar
kam aus dem Staunen nicht heraus. Natürlich dachte er nicht im Traum daran, das
Wort an die Fremde zu richten. Schließlich wusste er sich zu benehmen. Und außerdem
war er verlobt, ein Grund mehr, so zu tun, als bemerke er die Unbekannte nicht.
    Dies allerdings war leichter gesagt als getan.
Mitte 20, graziös und von schlankem Wuchs, hatte die betuchte Dame, um die es sich
offensichtlich handelte, etwas an sich, das Berengar förmlich zum Hinsehen zwang.
Obwohl er sich dafür schämte, musste er zugeben, dass es sich nicht nur um eine
hübsche, sondern mit sämtlichen Gaben der Natur ausgestattete Weibsperson handelte.
Zwar trug sie einen wollenen Überwurf, aber was sich darunter verbarg, war dazu
angetan, das Blut jedes Mannes in Wallung geraten zu lassen. Ein derartiges Kleid,
noch dazu aus dunkelrotem Samt, bekam man nicht alle Tage zu sehen, vor allem nicht
mitten im Winter, wo die Gewänder nicht dick genug sein konnten. Von derlei Anwandlungen
schien die Venus mit dem walnussfarbenen, bis auf die Schultern herabreichenden
Haar indes nicht viel zu halten, und es schien, als könne ihr die klirrende Kälte
nichts anhaben.
    Gut möglich, mutmaßte Berengar, dass die junge
Frau mit dem wiegenden Schritt in Eile war. Warum sonst hätte sie ihn keines Blickes
würdigen, ihr mit Goldfäden durchwirktes Kleid raffen und stur geradeaus blickend
an ihm vorüberhasten sollen? Berengar kam dies reichlich merkwürdig, um nicht zu
sagen unhöflich vor. Nicht zuletzt deshalb wandte er sich achselzuckend ab, beinahe
froh, links liegen gelassen worden zu sein. Es ging doch nichts über eine Frau wie
Irmingardis, mit der keine Schönheit dieser Welt, mochte sie sich auch noch so sehr
herausgeputzt haben, konkurrieren konnte.
    Die Unbekannte war bereits mehrere Schritte
entfernt und Berengar in Gedanken wieder bei seiner Verlobten, als ihn ein neuerliches
Geräusch, diesmal von oben, aufhorchen ließ. Woher es kam und welchen Ursprungs
es war, blieb ihm zunächst verborgen. Doch dann, fast gleichzeitig, war der aufgeregte
Flügelschlag eines Rabenschwarms zu hören, welcher sich zuvor lautlos genähert und
ebenso lautlos auf der Balustrade niedergelassen hatte, die das Gerüst zur Straßenseite
hin begrenzte.
    Berengar zog den Kopf ein und wirbelte herum.
Die Unbekannte, schätzungsweise 50 Schritte entfernt, tat das Gleiche. Einen Wimpernschlag
starrten sie einander an, die Münder halb offen und einen fragenden Blick im Gesicht.
    Es war dieser Blick, dieses ans Kokette grenzende
Mienenspiel der jungen Frau, der dazu führte, dass Berengar die Gefahr, in der sie
schwebte, viel zu spät erkannte. Erst als sie den Blick nach oben richtete, tat
der Vogt es der Fremden gleich, einen Ruf auf den Lippen, der ihm buchstäblich im
Hals stecken blieb.
    Dieser Warnruf, so er denn rechtzeitig ertönt
wäre, hätte am Gang der Ereignisse freilich nicht das Geringste ändern können. Auch
daran nicht, dass der Greifarm, an dem der tonnenschwere Quaderblock hing, seine
Last freigeben würde. Starr vor Schreck, hing Berengars Blick wie gebannt an dem
Flaschenzug, welcher sich auf der obersten Ebene des Baugerüstes befand und an dem,
wie er bestürzt registrierte, eine bis zur Unkenntlichkeit vermummte Gestalt herumhantierte.
Welchen Zweck sie damit verfolgte, stand dem Vogt klar vor Augen, wenngleich er
im Gegensatz zu der Unbekannten, die sich blitzschnell von ihrem Schreck erholt
hatte, zu keiner vernünftigen Reaktion fähig war.
    Als der Greifarm nachgab und der Quaderblock
sich aus seiner Umklammerung löste, war die junge Frau bereits zurückgewichen, die
Hände schützend von sich gestreckt. In ihrem Gesicht, aus dem die pechschwarzen
Augen besonders hervorstachen, regte sich dagegen nichts. Ihr Blick war immer noch
der gleiche, furchtlos, gefasst, und, wie Berengar erstaunt registrierte, alles
andere als überrascht.
    Dementsprechend kühl fiel die Reaktion der mysteriösen
Schönheit aus, nachdem der Quader auf dem Pflaster aufgeschlagen, in mehrere Teile
zerborsten und unweit des Südportals liegen geblieben war.
    Berengar, dem die Rolle
des Zuschauers überhaupt nicht behagte, rieb sich verwundert die Augen. An Vorkommnisse
dieser oder ähnlicher Art konnte er sich natürlich erinnern, an eine derartige Reaktion
dagegen

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