Engel der Schatten - 01 - Astrid Martini
gerne ein wenig unterkriechen – bis ich wieder klar denken kann. Wäre das okay?“
„Aber Kindchen, natürlich ist das okay. Du weißt doch, wie gerne ich dich um mich habe. Bleib also so lange hier, wie du magst.“
„Danke!“
Sie plauderten noch eine ganze Weile, dann forderten die letzten Stunden ihren Tribut. Grenzenlose Erschöpfung machte sich in Cecile breit.
„Sei mir nicht böse, aber ich muss ins Bett. Ich will nur schlafen. Schlafen und vergessen.“
Cecile hatte sich kaum in die zarte grün-weiße und herrlich weiche Blumenbettwäsche gekuschelt, da war sie auch schon eingeschlafen. Die Erschöpfung der letzten Tage legte sich als Ring bleierner Müdigkeit um ihren Körper.
Zu ihrer grenzenlosen Erleichterung schlief sie diesmal traumlos und ohne einmal wach zu werden. Am nächsten Tag buddelte sie mit ihrer Tante zusammen im Garten, bewunderte die bunte Blütenpracht, weinte sich zwischendurch immer mal wieder bei Hermine aus und fiel abends erneut wie ein Stein ins Bett.
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Astrid Martini
Engel der Schatten
Ganze zwei Wochen blieb Cecile bei ihrer Tante. Als sie schließlich wieder zurück zu ihrer Wohnung fuhr, hatte sie das Gefühl, um ihr Herz sei es schon nicht mehr ganz so schwer wie noch vor ein paar Tagen.
***
Nicholas versuchte in den nächsten Wochen vergeblich, sein altes Dasein wieder aufzunehmen.
Täglich machte er sich auf die Suche nach passenden weiblichen Wesen. Erstens, um seine übergroße Leere zu füllen und zweitens, weil er ja schließlich ein Ziel hatte …
Eine dieser „Ersatz-Damen“ hatte ihm sogar mehr als gut gefallen, so dass er froher Hoffnung gewesen war, Cecile aus seinen Gedanken verbannen zu können.
Die Frau war unschuldig, rein und voller Hingabe. Gleichzeitig aber auch intelligent, attraktiv und sympathisch. Sie war die passende Seele für seinen teuflischen Plan. Doch es nutzte nichts. Ständig hatte er Ceciles Gesicht vor seinem inneren Auge, und er begann
immer weniger Gefallen daran zu finden, unschuldige Wesen ins Verderben zu stürzen.
Bilder zogen wie in einem Film an ihm vorüber – Bilder von ihrem ersten Treffen, von ihren sinnlichen Stunden und von ihrem süßen Lächeln, die sich so tief in seine schwarze Seele gebohrt hatten, so, dass die Finsternis in ihm immer mehr bröckelte.
Bei den Bildern, die sich wie ein Kaleidoskop vor ihm abspielten, spürte er einen unerträglichen Schmerz in sich.
Er erschrak.
Seit wann kann ich derartige Schmerzen empfinden?
Grübelnd lief er durch die Nacht – immer in der Hoffnung, zu seiner alten Form und Stärke zurückzufinden.
Vergebens!
Soll ich einfach bei ihr vorbeischauen und sie um Verzeihung bitten? Aber was dann? Dann beginnt alles von vorn und ihre Seele ist erneut in Gefahr.
Also schob er diesen Gedanken weit von sich, denn er hatte Angst, sie in die Finsternis zu
stürzen.
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Engel der Schatten
***
Etwas Bedrohliches lag in der Luft. Etwas Unerklärliches, was sich in jede einzelne Zelle ihres Körpers fraß, in ihre Träume schlich und Cecile schließlich weckte.
Erschrocken fuhr sie hoch und lauschte ins Dunkel.
Mit zitternder Hand tastete sie zur Nachttischlampe, doch eine unsichtbare Macht – eine Wand aus kalter Energie – hinderte sie daran, den Lichtschalter zu betätigen.
Ihr stockte der Atem.
Unwillkürlich zog sie ihre Hand zurück. Angst schnürte ihr die Kehle zu.
Schatten, dunkler als die Nacht, huschten wie winzige Fledermäuse an ihr vorbei, und ein grauenvolles Stöhnen drang tief aus dem Inneren der Wände – unwirklich, aber doch so nah und real. Dieser Laut fuhr Cecile durch Mark und Bein, kroch durch ihre Glieder
und zog eine eisige Spur um ihr Herz. Eine Spur, die sich wie ein stählernes Band um ihren pochenden Muskel legte und erbarmungslos zudrückte.
Ceciles hektischer Blick wanderte zu den Leuchtziffern ihres Weckers. 3.00 Uhr –
und die Sekunden zerrannen so langsam wie tropfendes Blut. Sie machten ihr keinerlei Hoffnung auf baldiges Tageslicht.
Ein monotones Flüstern drang an ihre Ohren. „Cecile … unschuldig süße Cecile.“
Es schwoll an.
Ich muss hier raus, schoss es ihr durch den Kopf. Doch die Angst vor kalt zupackenden Klauen, die eventuell unter ihrem Bett hervorschnellen und nach ihr greifen könnten, ließ ihren Körper wie Blei und regungslos im Bett verharren.
Zusammengekauert saß sie dort und lediglich ihre weiche Decke, in die sie sich bibbernd eingewickelt hatte, schenkte ihr leichten Schutz
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