Engel der Schatten - 01 - Astrid Martini
vor dem kalten Hauch der Finsternis – dem Atem einer fremden Macht, die sich in ihrem Schlafzimmer zu befinden schien.
Jeder Muskel in ihrem Körper war angespannt, während ihr Verstand fieberhaft arbeitete.
Das Flüstern verstummte, und mit einem Mal war es mucksmäuschenstill. Es war
eine Stille, die fast schmerzte. Cecile hätte nie gedacht, dass Stille einmal so laut sein
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könnte. Selbst das monotone Ticken ihres Weckers hatte sich der Stille ergeben und war verstummt.
Jetzt oder nie! Sie atmete tief ein, schwang ihre Beine aus dem Bett und stolperte blindlings in die Richtung, in der die Tür sein musste.
Sie hatte Glück; denn trotz ihrer lähmenden Furcht hatte ihre Orientierung genug Kraft gehabt, um sie sicher zur Tür zu leiten.
Mit bebenden Knien und sich überschlagendem Herzen riss sie die Tür auf. Undurchdringliche Finsternis schwappte ihr entgegen. Ihre Finger tasteten zitternd nach dem Lichtschalter ihrer Diele, fanden ihn, und dann war es endlich hell. Sie atmete auf, bebte und blickte sich hektisch um.
Nichts!
Was war das? Ich weiß, dass da etwas war. Oder beginnt mich mittlerweile schon
mein Verstand zu narren, und ich sehe Gespenster, wo keine sind?
Bleierne Müdigkeit legte sich auf ihre Augenlider. Sie ließ die Tür offen, das Licht an, stolperte hastig zum Bett und fiel schon bald in einen traumlosen Schlaf. Als sie am
nächsten Morgen erwachte, war jegliche Erinnerung an diese grausige Nacht verschwunden. Sie wunderte sich lediglich, wieso das Licht brannte …
***
„Du wagst es also, das Reich der Finsternis herauszufordern?“ Die Stimme des schwarzen Engels war finster.
„Nenne es, wie du willst, Adrian. Fest steht nur, dass ich es mir anders überlegt habe. Ich möchte Ceciles Seele nicht mehr. Ich werde mir eine andere suchen.“
„Du Narr.“ Adrian trat näher. „Du beginnst sentimental zu werden und willst wahrhaftig darüber nachdenken, diese Seele zu verschonen!? Merkst du denn nicht, dass du uns alle damit verrätst? Dass du beginnst, das zu untergraben, wofür wir so lange gekämpft und gearbeitet haben?“
„Ich sagte doch, ich suche mir eine andere Seele – und danach noch unzählig
weitere.“
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Adrian lachte bitter auf. „Wie naiv bist du eigentlich? Wenn es irgendetwas gibt, was unser Reich zu Grunde richten kann, dann sind es Sentimentalitäten, wie du sie gerade an den Tag legst – zumal dich keine andere Seele mehr ausreichend zu reizen scheint. Willst du unser Reich schwächen? Willst du das?“
„Natürlich nicht.“
„Dann schnapp dir diese verdammte Seele und bringe sie zu uns. Oder hast du vergessen, dass wir dazu berufen sind, jegliches Weiß in finsterstes Schwarz zu verwandeln? Dies ist eine große Chance. Vermassele sie bloß nicht, denn sonst werde ich eingreifen.“
„Das wirst du nicht.“
Allein schon der Gedanke daran, dass Adrian – ebenfalls ein gefallener Engel, allerdings um Jahrhunderte älter als er – Cecile aufsuchte und seine Spielchen mit ihr
trieb, ließ Nicholas fuchsteufelswild werden. Zumal er wusste, dass Adrian sehr grausam vorging, um sein Ziel zu erreichen.
Adrian warf den Kopf in den Nacken und begann lauthals zu lachen.
„Wieso so aufgebracht? Solltest du dich etwa um dieses Seelchen sorgen?“
Sein Lachen verstummte, seine Augen begannen böse zu glitzern und seine Stimme war eiskalt, als er rief: „Du bringst uns diese Seele, sonst werde ich fortsetzen, was ich letzte Nacht begonnen habe.“
„Du warst bei Cecile?“ Alle Muskeln Nicholas begannen sich zu spannen.
„Ganz recht.“
„Lass sie in Ruhe.“
„Dann kümmere du dich um sie. Ich jedenfalls werde nicht zulassen, dass uns ein derartig saftiger Fisch von der Angel fällt.“
Ein harter Zug legte sich um Nicholas Mund. Seine Augen glühten, als er ein paar Schritte auf sein Gegenüber zutrat.
„Du lässt deine schmutzigen Finger von Cecile, sonst …“, er brach ab und packte Adrian am Kragen.
Dieser stieß Nicholas Hand mit einem mitleidigen Gesichtsausdruck fort.
„Was für ein arroganter, selbstgefälliger Idiot du doch bist“, zischte er. „Du wagst es, mir zu drohen? Vergiss nicht, dass ich dein Lehrer bin. Alles, was du bist, hast du mir zu
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verdanken, und ich kann dich nur davor warnen, mich und meinen Zorn herauszufordern.“
Nicholas erwiderte den brennenden Blick Adrians ohne mit der Wimper
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