Engel der Schatten - 01 - Astrid Martini
keinen Zweifel daran, dass sein Vorhaben von Erfolg gekrönt sein würde. Schließlich war er ein erfahrener Seelenjäger.
Der Nebel verdichtete sich. Ein leichtes Vibrieren war zu spüren, ganz so, als würde sich der Boden für einen Augenblick heben und wieder senken.
Aus dem dichten Nebel tauchte urplötzlich ein großer Schatten auf.
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Astrid Martini
Engel der Schatten
Cecile blickte erschrocken auf die schwarzen riesigen Flügel, die sichtbar wurden. Es waren ebenso mächtige Schwingen wie die Adrians.
Nicht noch so einer, flehte sie in Erwartung dessen, dass sie künftig zwei dieser schwarzen Engel ertragen müsste. Gefallene Engel, die ihr die Seele rauben wollten. Sie sollte eine willenlose Hülle werden, die anschließend mit dämonischen Energien gefüllt wurde.
Dieser Gedanke ließ sie erschauern.
Die Nebelschwaden zogen sich zusammen, dann verzogen sie sich urplötzlich und enthüllten die klaren Konturen einer Gestalt.
Cecile wankte. Nicholas!, schrie sie in Gedanken, weil ihre Stimme ihr den Dienst versagte. Sie krallte ihre Hände in Adrians Arm, erkannte, dass dieser für eine Weile aus dem Konzept gebracht worden war, nutzte die Gunst der Stunde und riss sich
augenblicklich von ihm los.
Sie wich zurück und presste sich an die kühle Schattenwand hinter ihr. Ohne den Blick von Nicholas abzuwenden, sank sie langsam an der Wand hinab, ging in die Hocke
und umschlang ihre Knie mit beiden Armen, ganz so, als umklammere sie damit ein Stück Realität.
Bleib wach, flehte sie ihren Körper an, während sich alles um sie herum drehte. Haltlos baumelte ihre Seele über dem schwarzen Abgrund einer nahenden Ohnmacht. Sie zitterte am ganzen Leib, zwang sich zum Atmen, zwickte sich in die Oberschenkel, um wach zu bleiben und diesem Abgrund zu entkommen. Bunte Nebellichter flackerten vor ihren Augen auf, sie starrte wie benommen auf die riesigen Flügel, die Nicholas Rücken zierten, und dann verzogen sich die Nebelschleier und ihre Sinne klärten sich. Cecile atmete noch einmal tief durch. Was hatte das alles zu bedeuten? Wieso hatte Nicholas plötzlich schwarze Schwingen und wo kam er so plötzlich her?
Heiße Tränen überfluteten ihr Gesicht, liefen ihr unaufhörlich in den Mund, so dass sie immer wieder schlucken musste.
Nicholas … warum? Sie spürte nichts als den brennenden Schmerz, den die Erinnerung an ihre letzte Begegnung bei ihr hinterlassen hatte und egal, wie sehr ihr dies auch das Herz zerriss, statt Abscheu und Wut spürte sie lediglich tiefe Trauer und Sehnsucht … eine brennende Sehnsucht.
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Engel der Schatten
Kaum hörbar schluchzte sie auf. Ihr gesamter Körper wurde von verzweifeltem Verlangen durchflutet. Verlangen nach diesem Mann … egal, was er ihr auch angetan hatte. Ihr Herz quoll über, reckte sich ihm entgegen.
Ihre Benommenheit schwand mehr und mehr, ganz so, als habe das Erscheinen von Nicholas einen Zauber gebrochen und sie von einem bösen Bann erlöst. Dann schrie sie. All ihr Entsetzen, die ganze Absurdität dieses Anblickes und all ihre Angst krochen in diesem Schrei über die glatten Steinwände des Gewölbes und hallten unheimlich nach. Sie schrie, bis auch der letzte Atem verbraucht war.
Adrian und Nicholas standen sich reglos gegenüber. Wie zwei Raubtiere – mit gespannten Muskeln und zum Angriff bereit.
„Nicholas“, flüsterte Cecile, rieb sich immer wieder ihre Augen, so als könnte sie damit die irrealen Bilder wegwischen und schüttelte ungläubig ihren Kopf.
Für einen Moment löste Nicholas seinen Blick von seinem Kontrahenten, schaute besorgt zu Cecile und rief: „Cecile, habe keine Angst. Ich bin gekommen, um dich zu befreien.“
Ceciles unkontrolliert zitternder Körper kam bei der warmen, vertrauten Stimme ein wenig zur Ruhe. Sie legte ihren Kopf auf ihre angezogenen Knie und wünschte sich in diesem Moment aus tiefstem Herzen, in Nicholas Arme zu sinken, seinen vertrauten Geruch zu inhalieren und damit alle Schrecken vertreiben zu können. Egal, was er auch war und was er vorhatte, ihr Herz schrie nach ihm, sehnte sich nach seiner Nähe und brannte darauf, nie wieder vom ihm getrennt zu sein.
Seine bloße Gegenwart hüllte sie ein wie ein warmes Tuch, gab ihr neue Kraft und ließ sie sogar ein wenig hoffen.
Okay, er hatte auch diese riesigen schwarzen Flügel … schien also auch ein gefallener Engel zu sein, aber er hatte gesagt, er wollte sie befreien und ihr Herz spürte, dass dies nicht gelogen war. Egal,
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