Engel der Verdammten (German Edition)
Straßenbrücke Deutschlands und sicher auch eine der schönsten. Der Ausblick über das Hafenareal war fantastisch, doch im Augenblick interessierte sich Felix Leonhard mehr für das Ziel des Mannes im Wagen vor ihm. Wo genau wollte er hin, und was hatte er vor? Es war bereits dunkel, und ein Meer von Lichtern erhellte den noch immer geschäftigen Hafen.
Tariq steuerte die nächste Ausfahrt an und suchte sich dann außerhalb der Absperrungen einen Parkplatz. Verdammt!
Ein Parkplatz! Schnell. Er brauchte einen Parkplatz! Der Journalist quetschte seinen Wagen in eine Lücke und eilte zu dem BMW . Er war leer.
Verflucht!
Hektisch sah sich Felix Leonhard um. Und hatte Glück. Er sah den Zuhälter, wie er den Waltershofer Hafen ansteuerte. Ohne aufgehalten zu werden, passierte er die Schranke zwischen den stacheldrahtverwehrten Zäunen. Der Journalist folgte ihm mit etwas Abstand.
Was für ein Ort. Hinter ihnen donnerten die Fahrzeuge in beide Richtungen über die A7, vor ihnen teilten sich zwei Schienenstränge, über die lange, mit Containern beladene Züge zu den Hafenbecken rollten. Links dahinter schlossen sich die Wasserbecken des Klärwerks Dradenau an, hinter denen sich zehn in schimmerndes Licht getauchte Faultürme erhoben, in denen aus Klärschlamm Methan gewonnen wurde. »Dracheneier« nannten sie die Hamburger. Auf der anderen Seite hinter der Zellmannstraße begann das Gelände der Containerterminals. Man konnte von hier sehen, wie die riesigen Kräne am Eurokai im Scheinwerferlicht Container für Container von Bord eines Schiffes luden. Aus der luftigen Höhe der Köhlbrandbrücke hatten sie wie kleine Schachteln ausgesehen, doch es waren sogenannte TEU s, Twenty-foot Equivalent Units , also fast sieben Meter lange Container, die sich wie von Zauberhand zwischen Schiffen, Kai, Lager und Zügen hin- und herbewegten. Kein Mensch schien diese seltsam erhabene Choreografie zu steuern.
Doch Felix Leonhard hatte weder einen Blick für die magisch schimmernden Dracheneier noch für das Containerballett. Er richtete sein Augenmerk noch immer auf den Mann vor sich, der auf ein einfaches Backsteingebäude mit Giebeldach zuhielt, das hier in dieser modernen, technisierten Welt wie ein archaischer Überrest wirkte. Ein alter Anker lag zu Füßen der Giebelwand. »International Seamen’s Club Duckdalben« stand mit roten Lettern an der Wand.
Der Journalist folgte Tariq bis zur Tür. Er überlegte gerade, ob er ebenfalls eintreten sollte, da kam Tariq mit einem anderen Mann schon wieder heraus. Sie stellten sich in den Windschatten des Hauses neben den alten Anker und zündeten sich Zigaretten an. Felix konnte nicht so nah heran, als dass er hätte verstehen können, was sie sagten.
Wer war der andere Mann? Ein Seemann? Seine Kleidung und der Ort ihrer Verabredung legten es nahe. Das brachte ihn noch nicht weiter. Er musste wissen, auf welchem Schiff er diente. Sollte er ihm nachher folgen? Doch wie groß war die Chance, dass er nach dem Gespräch an Bord zurückkehren würde? Es war früh am Abend. Da war es wahrscheinlicher, dass der Seemann Landgang hatte und sich auf dem Kiez oder woanders einen fröhlichen Abend gönnen würde.
Die Männer wurden sich schnell einig und besiegelten das Geschäft mit einem Handschlag und einem braunen Umschlag, den der Seemann einsteckte, bevor er sich abwandte. Während sich Tariq wieder in Richtung seines Autos aufmachte, schritt der andere auf das Hafengelände zu. Felix konnte sein Glück nicht fassen. Er nahm die Verfolgung auf.
Der Mann führte ihn jedoch nicht zu einem Schiff. Er passierte einige Gebäude, in denen heute Abend keiner mehr zu arbeiten schien, und ging dann auf eines der Containerlager zu. Die Straßenlampen wurden spärlicher, stattdessen wuchsen die düsteren Schatten.
Plötzlich verschwand der Seemann in einer Gasse, die zu beiden Seiten von gestapelten Containern gebildet wurde.
Er würde ihn verlieren! Der Journalist beschleunigte seine Schritte und huschte um die Ecke.
Fast wäre er in den Mann hineingelaufen, der sich umgewandt und drohend vor ihm aufgebaut hatte, die Hände zu Fäusten geballt.
»Ich mag das nicht, wenn man mir hinterherschnüffelt!«, sagte er, und sein Ton ließ keinen Zweifel daran, dass er sich nicht mit einer einfachen Entschuldigung zufriedengeben würde.
Felix wich zurück. Allein die Statur des Mannes machte ihm klar, dass er in einer Auseinandersetzung unterliegen würde. Er wirbelte herum und wollte losrennen,
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