Engel der Verdammten (German Edition)
den Händen. »Vertrauen? Ist das bei vier Toten nicht ein wenig viel verlangt?« Sabine presste die Stirn in ihre Handflächen und schüttelte den Kopf. Das war ein Albtraum, ein schrecklicher Albtraum. Sie musste aufwachen. Dann würde sie feststellen, dass sie alles nur geträumt hatte. Er war ein Vampir, aber kein Monster. Er trank Blut, doch er tötete seine Opfer nicht. Schon lange hatte er seine Triebe unter Kontrolle. Er liebte sie. Er war ein fantastischer Pianist, ein feinsinniger Poet, ein geistreicher, belesener Gesprächspartner. Er liebte Konzerte und die Oper. Er strich nicht durch die Nacht und schnitt armen Osteuropäerinnen die Kehle durch!
Plötzlich spürte sie, dass sie allein war. Zaghaft hob sie den Kopf. Es war zwar dunkel im Wohnzimmer, doch sie wusste, dass er fort war. War er gegangen, um sich ein neues Opfer zu suchen? Senkte er vielleicht schon bald seine Zähne in den Hals einer weiteren unschuldigen Frau und schnitt ihr anschließend brutal die Kehle durch?
Oh Gott, was sollte sie jetzt machen?
Vielleicht gar im Präsidium anrufen und den Kollegen ihre Sicht der Dinge darlegen? Und sie bitten, eine SoKo Van Helsing ins Leben zu rufen?
Lächerlich. Was würde ihr das bringen? Bis auf ein Dauerabonnement für den Psychiater.
Sabine wusste, dass sie gar nichts tun konnte, außer hier in ihrer Wohnung zu sitzen, darauf zu warten, dass die Nacht verrann, und zu hoffen, dass kein Anruf sie aufschrecken und zu einem neuen Opfer mit durchgeschnittener Kehle rufen würde.
Ihr Blick huschte zur Uhr. Wie spät war es? Das würde eine lange Nacht werden! Die Uhr zeigte gerade einmal Viertel nach acht.
Felix!
Sie sprang auf. Sie waren um acht im Casa di Roma verabredet gewesen. Sabine lief in den Flur und schnappte sich Jacke und Handtasche. Sie schlug die Tür hinter sich zu und schlüpfte, während sie die Treppe hinuntereilte, in ihre Jacke. Wenige Minuten später stieß sie die Tür zu ihrem italienischen Stammlokal auf.
» Buonasera , Sabine, wie schön, dich zu sehen«, rief Paolo und kam mit ausgebreiteten Armen auf sie zu.
» Buonasera , Paolo«, erwiderte sie, während sie sich umsah.
»Erwartest du deinen Freund von neulich Abend?«, erkundigte sich der Wirt und zwinkerte.
»Ja, aber er ist nicht mein Freund. Er ist Journalist.«
»Das eine schließt das andere nicht aus«, meinte Paolo und führte sie an einen Tisch. »Er wird sicher gleich kommen.« Er schnalzte missbilligend mit der Zunge. Offenbar hielt er nichts davon, eine Dame warten zu lassen.
»Ich bringe dir schon einmal einen schönen Prosecco und ein wenig Brot und Oliven.«
Sie nickte nur, noch immer tief in Gedanken. Abwesend nippte sie an ihrem Glas und zerbröselte ein Stück Brot über ihrer Serviette. Als sie wieder auf die Uhr sah, war es schon kurz vor neun. Sie zog ihr Handy aus der Tasche. Nein, er hatte nicht versucht, sie zu erreichen. Wo steckte er nur? Sie hasste Unpünktlichkeit.
Paolo näherte sich mit einer Grabesmiene. »Nichts von ihm gehört?«
Sabine schüttelte den Kopf. »Bei dir hat er auch nicht angerufen?«
»Nein. Es tut mir leid.«
Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Das muss nicht dir leidtun. Sicher ist ihm was Wichtiges dazwischengekommen.«
»Ja, sicher, aber man kann wenigstens anrufen, nicht wahr?«, grollte Paolo. »Man lässt eine Dame nicht warten.«
Da konnte sie ihm nur zustimmen.
»Und nun? Willst du etwas essen?«
Sabine nickte, obwohl sie keinen Appetit verspürte. Sie bestellte eine kleine Pizza mit Champignons und ein Glas Chianti. Bis zehn wartete sie auf eine Nachricht von Felix, dann bezahlte sie und kehrte in ihre Wohnung zurück. Nein, mit den Männern hatte sie heute wirklich kein Glück!
Kapitel 18
Asyl
Peter von Borgo stand im düsteren Hof hinter dem Haus der Kommissarin und starrte fassungslos auf sein Motorrad hinab – oder besser gesagt auf den Schrotthaufen, der vor wenigen Minuten noch seine Hayabusa gewesen war. Wer für dieses Werk der Zerstörung verantwortlich sein musste, war nicht schwer zu erraten. Außerdem schwebte der wutgeschwängerte Duft noch über dem Hof. Was ihn fassungslos machte, war weniger das Ausmaß der Zerstörung als die überschäumende Aggression und die Schnelligkeit, mit der alles vonstattengegangen war. Wie lange war er bei Sabine in ihrer Wohnung gewesen? Nicht sehr lange. Und er war auch nicht gerade langsam von Ohlsdorf nach St. Georg gefahren. Und dennoch stand er nun vor einem Haufen Blech, der noch vor wenigen
Weitere Kostenlose Bücher