Engel der Verdammten (German Edition)
feucht.
»Keine Anmut mehr«, sagte sie leise.
Ganz unrecht hatte sie nicht. Von dem einst schönen, anmutigen Mädchen war nichts geblieben. Er fragte sich, was sie in den Jahren erlebt hatte, seit es sie aus ihrer Heimat nach Deutschland verschlagen hatte. Oder hatte ihre Leidensgeschichte schon früher begonnen, schon in ihrem Heimatland?
»Orchidee ist auch ein schöner Name«, fügte er sanft hinzu. Der Lappen entglitt zum zweiten Mal ihren Händen.
»Wo ist Lan?«, fragte sie angstvoll.
»Ich habe deine Nachricht gelesen. Es ist alles gut«, beschwichtigte der Vampir. »Sie ist in guten Händen in einem Haus mit anderen Kindern. Es wird ihr nichts geschehen. Niemand wird ihr wehtun.«
Sie sah ihn lange an, dann nickte sie. »Danke.« Es war nur ein Hauch.
»Warum hast du deine Tochter fortgeschickt?«, fragte der Vampir.
Duyen legte den Lappen beiseite und setzte sich auf die Treppenstufe.
»Herr und Frau Wolf haben Lan nicht gemocht. Wollten kein fremdes Kind im Haus. Sie haben Mann angerufen, der uns hergebracht hat, und ihm gesagt, das Kind muss weg. Erst wollte er Lan nicht wiedernehmen, aber dann kam er und sagte, dass er sie gebrauchen kann. Er hat Kunden. Einen Kunden, der Kinder gern hat!« Sie schnaubte verächtlich.
»Wir sind aus Vietnam weggegangen, um nicht mehr diese Sachen machen zu müssen. Und für Lan. Die Männer haben gesagt, sie bringen mich nach Deutschland, dort kann ich nähen und Geld verdienen für mich und Lan, und hier kann Lan in die Schule gehen und etwas lernen.«
»Und dann haben sie euch doch wieder nur an Männer verkauft«, ergänzte der Vampir. Duyen nickte.
»Später hat mich der Mann hierher gebracht. Ist besser hier, aber sie dürfen Lan nicht bekommen!«
»Das werden sie auch nicht«, versprach der Vampir. »Und, möchtest nicht auch du fort von hier?«
Duyen hob die Schultern. »Ich kann nicht weggehen. Der Mann sagt, ich muss ins Gefängnis und dann zurück nach Vietnam, wenn die Polizei mich findet. Kein Pass, keine Papiere. Ich kann nirgends hingehen. Ich will nie mehr zurück, zu den vielen Männern!«
Peter von Borgo erhob sich. »Dann will ich dich nicht länger stören. Wie ich gehört habe, hast du heute noch viel Arbeit.«
Er verbeugte sich und verschwand, sodass sich Duyen verwirrt die Augen rieb. Sie sah sich um, doch als sie keinen mehr entdecken konnte, nahm sie wieder ihre Arbeit auf. Auf ihren Knien polierte sie Stufe für Stufe.
Nachdem sich Felix verabschiedet hatte, eilte Sabine in ihre Wohnung. Mit zitternden Fingern schob sie den Schlüssel ins Schloss und stieß dann ungeduldig die Tür auf.
»Peter, bist du da?«
Sie stand einige Augenblicke bewegungslos da und lauschte ihren Empfindungen. Er war nicht da, stellte sie enttäuscht fest. Warum nicht? Wo war er? Hatte er sie mit Felix im Casa di Roma sitzen sehen und war schon wieder eifersüchtig? Es durchfuhr sie heiß und kalt. Er war doch nicht etwa dort draußen unterwegs, um dem Journalisten aufzulauern?
Nein, das konnte nicht sein. Sie hatte nur mit ihm gesprochen, Informationen ausgetauscht. Es war kaum anders, als wenn sie sich mit einem Zeugen oder Informanten getroffen hätte – zumindest redete sie sich das ein. Aber ob der Vampir das genauso sah?
Sabine wurde von einer Unruhe erfasst, die es ihr unmöglich erlaubte, sich einfach nur auf ihr Sofa zu setzen und zu warten. Sie musste ihn sehen! Aber wo konnte sie ihn finden? In seinem Versteck in der Speicherstadt? In seiner Villa in Blankenese? Unwahrscheinlich. Egal, an welchem seiner Zufluchtsorte er den Tag in seiner totenähnlichen Starre verbracht hatte, nach Sonnenuntergang war er aufgebrochen, um seinen Durst zu stillen.
Sabine griff nach ihrem Wagenschlüssel und zog die Wohnungstür wieder hinter sich zu. Im gleichen Moment öffnete sich die Tür zur Wohnung nebenan und Lars streckte seinen ziemlich zerzausten Blondschopf heraus.
»Ah, Sabine, gut, dass du endlich kommst. Ich habe schon auf dich gewartet. Hast du heute so lange gearbeitet?«
Sie überlegte, ob sie ihm darauf eine Antwort geben sollte. Sie war ihrem Nachbarn keine Erklärung schuldig, doch er wartete gar nicht ab, sondern sprach gleich weiter.
»Du, ich komme mit meinem Krimi seit Tagen nicht recht voran. Können wir die letzten Kapitel noch mal zusammen durchgehen? Das hilft mir immer ungemein.«
Er sah sie mit einem Blick aus seinen blauen Augen an, der sie verdammt an einen Dackel erinnerte – nur dass deren Augen nicht blau
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