Engel der Verdammten (German Edition)
Haushalt zuständig sind. Man kann sie für fünfzig Dollar kaufen. Wenn es Sie interessiert, dann lesen Sie mal das Buch von E. Benjamin Skinner über die moderne Sklaverei. Er sagt, Haiti ist heute das Land – außerhalb Südostasiens – mit den meisten Sklaven. Früher waren Restavèks nur bei der Oberschicht anzutreffen, aber heutzutage findet man sie überall in den Städten. Sogar in den Haushalten der unteren Mittelschicht, bei Leuten, die selbst genug strampeln müssen, um über die Runden zu kommen. Da kommen ihnen die kleinen Helfer gerade recht. Man kann ihnen die Hausarbeit aufbürden und seinen Frust und seine Aggression an ihnen auslassen. Nicht wenige müssen auch für sexuelle Dienste herhalten. Es kontrolliert ja keiner. Die Regierung macht sich keinerlei Mühe, die Gesetze gegen Sklaverei auch nur ansatzweise umzusetzen. Es ist ganz normal, dass Abertausende Familien ihr Restavèk- Kind haben!«
Sabine schüttelte den Kopf. »Das ist schwer vorstellbar. In unserer Zeit? Man denkt unwillkürlich an das achtzehnte oder neunzehnte Jahrhundert, als die schwarzen Sklaven nach Amerika verschifft wurden.«
»Ja, und doch ist es in Haiti noch immer Alltag. Die Kinder sind meist um die zehn Jahre alt, wenn sie von ihren Familien verkauft werden, und sie arbeiten dann mehrere Jahre für ihre Käufer, bis sie langsam erwachsen werden. Mit fünfzehn oder sechzehn gehen sie dann fort, um auf eigenen Beinen zu stehen, doch mit welchen Chancen? Sie haben ja nichts gelernt, können weder lesen noch schreiben.«
»Wissen die Eltern, was sie ihren Kindern antun? Für fünfzig Dollar?«
Felix wiegte den Kopf hin und her. »So teils, teils. Sie wissen, dass ihre Kinder im Haushalt ihrer Käufer arbeiten sollen, doch meist wird versprochen, sie mit den Kindern des Hauses zur Schule zu schicken. Viele Eltern auf dem Land hoffen auf eine bessere Zukunft für ihre Kinder. Skinner geht jedoch davon aus, dass nicht einmal zwanzig Prozent der Restavèks zur Schule gehen. Auch etwas, das dort niemanden kümmert. So wächst eine neue Generation heran, ungebildet und arm, und der Teufelskreis geht einfach weiter.«
Noch lange dachte Sabine an diesem Abend über die Worte des Journalisten nach. Immer wieder tauchten die Gesichter der drei ermordeten Frauen vor ihr auf, und das hässliche Wort Menschenhandel dröhnte in ihren Ohren. Was war diesen Frauen zugestoßen und warum?
Bedächtig schritt Peter von Borgo durch den nächtlichen Garten. Ein paar dürre Blätter wirbelten um seine Schuhe. Der Wind rauschte in den alten Bäumen. Er konnte ihre Spur ganz deutlich wittern. In Gedanken versunken schritt er zum Haus und sah zu dem nun dunklen Fenster auf. Der Vampir beugte sich vor und nahm die Witterung auf, dann folgte er dem Duft bis unter den Apfelbaum. Hier hatte sie gelegen, tot und starr und kalt, bis der Morgen kam und man ihren Körper entdeckte.
Peter von Borgo stand reglos da, schloss die Augen und nahm all die Gerüche wahr, die aus dem Gras zu ihm aufstiegen. Da war die Tote, aber auch die Frau des Hauses und das Team der Kripo. Er roch die Ärztin, deren Duft er aus den Autopsiesälen kannte, und natürlich Sabine. Ihren Geruch hätte er aus Tausenden herausgespürt. Aber da war noch etwas. Erregung und Triumph, Hass und Verachtung, Verzweiflung und Erlösung. Die Spur des Mörders!
Es war nicht das erste Mal, dass er sie an einem der Tatorte witterte, doch wieder ließ sie ihn schaudern. Es war noch lange nicht zu Ende. Nein, es hatte eben erst angefangen, so viel war ihm klar.
Und dennoch verstand er nicht. Wie konnte er das alles stoppen, wenn er es nicht verstand? Er würde noch tiefer graben und den anderen Spuren folgen müssen …
Und dann?
Dann würde es Zeit werden, zu handeln!
Wieder erschauderte er, denn er ahnte, dass dies nicht so einfach sein würde. Er musste eine Entscheidung treffen, die ihn vielleicht schmerzen würde.
Plötzlich hob er den Kopf und sog prüfend die Luft ein. Da lauerte ein Schatten am Rand seines Bewusstseins, der ihn beobachtete. Es wurde Zeit zu gehen.
Um neun trafen sich die Mitglieder der vierten Mordbereitschaft im kleinen Sitzungszimmer, um sich gegenseitig auf den neusten Stand der Ermittlungen zu bringen und um das weitere Vorgehen zu besprechen. Sönke und Uwe berichteten von der Befragung der Reißenbergers. Der Spur des Anrufs waren sie noch am vergangenen Tag nachgegangen, doch wie Sabine bereits befürchtet hatte, landeten sie in einer Sackgasse.
»Dr.
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