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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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selbst wenn sie es könnten, wie sähe mein Leben denn dann aus? Ein ewig währendes Neujahrsfest und Anbetung ohne Ende? Ich habe Götter gesehen, die darauf hereingefallen sind. Nur um schließlich mit leeren Händen dazustehen; sie sind jedem ausgeliefert, der ihre Gewänder oder ihr Haar oder ihre Haut berühren kann, bis sie sich endlich in den Nebel flüchten, kreischend wie die verwirrten Toten. Nein, ich täte es nicht, außer wenn Babylon dieses Opfer brauchte, und das ist nicht der Fall.
    Doch Babylon braucht etwas anderes, und das bald, und du weißt, warum.‹
    ›Kyros, der Perser‹, sagte ich. ›Täglich kommt er näher. Er wird Babylon plündern. Und ... und ...‹, ich stotterte. ›Und so wie er die Einwohner abschlachtet, wird er auch mein Volk abschlachten. Oder vielleicht lässt er uns auch hier bleiben?‹
    Marduk legte seinen Arm um mich und führte mich kühn durch die riesige Menschenmenge, die sich inzwischen versammelt hatte, um uns und unser seltsames Verhalten zu begaffen. Wir betraten einen anderen Park, einen, der mir besonders lieb war, weil dort immer Musikanten auf der Harfe spielten; denn hier trafen sich die Hebräer und spielten ihre Musik, und die hebräischen Männer kamen oft her, um zu tanzen. Ich hatte nicht vorgehabt, meinen eigenen Leuten direkt in die Arme zu laufen, aber jetzt war es auch schon egal. Marduk sagte hastig: ›Asrael, ich glaube, wir haben nicht den richtigen Weg eingeschlagen.‹
    ›Wieso? Sie werden uns nicht mehr Beachtung schenken als die anderen Leute vorher. Sie sehen mich in Begleitung eines reichen Mannes. Ich bin Kaufmann. Ich sage ihnen einfach, dass ich dir diesen schönen goldenen Gürtel verkauft habe und die Juwelen.‹
    Darüber lachte er, aber er hieß mich, sich neben ihn zu setzen, und wir unterhielten uns leise. ›Was weißt du über die Perser?‹, fragte er mich. ›Was weißt du über die Städte, die Kyros eingenommen hat? Was weißt du darüber?‹
    ›Nun, ich kenne die Lügen, die die Perser verbreiten, wonach Kyros Frieden und Wohlstand bringt und die Menschen ihren Geschäften nachgehen lässt, aber ich glaube das nicht. Er ist nicht weniger mordlustig als jeder andere König auch. Wie damals Assurbanipal ist er heute auf dem Vormarsch. Ich glaube nicht, dass die Perser eine friedliche Übergabe der Stadt akzeptieren würden. Wer glaubt das denn? Du etwa?‹
    Ich merkte, dass er mir gar nicht mehr zuhörte. Er zeigte nach vorn. ›Siehst du‹, sagte er, ›das meinte ich, als ich behauptete, wir hätten den falschen Weg eingeschlagen. Aber sie hätten uns so oder so gefunden. Sei du nur die Ruhe selbst. Sage gar nichts. Plaudere nichts aus.‹
    Ich sah, was er sah: Ein ganzer Trupp von jüdischen Ältesten stürmte uns entgegen und zwang das Volk, nach rechts und links auszuweichen, sodass es sich zu beiden Seiten zu einer dichten Masse zusammendrängte. Und allen Leuten voran der Prophet Enoch, wütend, die Haarsträhnen flatterten um sein Haupt, und er schaute Marduk an und erkannte ihn, das wusste ich sofort; wohingegen seine Mitläufer, unsicher und be-klommen und nicht unbedingt auf einen Aufruhr aus, nur einen Edelmann sahen, begleitet von dem ein wenig verrückten Asrael, den man sowieso schon als lästigen Plagegeist kannte, mit außergewöhnlichen Talenten begabt, aber folgsam.
    Marduk schaute dem Propheten geradewegs in die Augen! Ich auch. Nicht allzu weit von uns entfernt blieb er stehen. Er war halbnackt - ein Aufzug, den man bei vielen Propheten fand -
    und bedeckt mit Asche und Schmutz, und in der Hand hielt er einen Stab. Enoch war nicht gerade einer meiner Favoriten.
    Doch an der Art, wie er Marduk mit flammender Empörung und wildem Glauben ansah, merkte ich, zum ersten Mal, seit ich von ihm gehört hatte, dass er wirklich ein Prophet war.
    ›Du!‹, verkündete er, wobei er den Stab hob und mit einer heftigen Geste auf Marduk richtete. Die Menge zog sich furcht-sam zurück. Immerhin sah diese Person wie ein reicher Mann aus! Doch dann geschah etwas Grauenvolles. Der Prophet riss die Augen weit auf und sagte: ›Lege doch dein Beutegut wieder an! Ich rede von dem Gold, das deine Soldaten aus unserem Tempel in Jerusalem stahlen. Bedecke dich damit, du dummer, nutzloser Götze! Gehorche, denn aus Metall wurdest du gemacht, und so sollst du auch bleiben!‹
    Und ehe mir noch der Gedanke kam einzugreifen, legte sich Gold über Marduk und umschloss ihn, doch er wehrte sich dagegen, und auch ich versuchte nun, es

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