Engel der Verdammten
auf der Hut, auch vor denen, die du liebst, Asrael. Ich spüre große Angst, nicht wegen Babylon, Babylon mag fallen, sondern deinetwegen. Und nun naht der Augenblick meines höchsten Triumphs.‹
Er erstrahlte plötzlich in goldenem Licht, und ich erkannte an seinen wilden, wahnsinnigen Augen, dass er selbst es erzeugte, und da die ringsum stehenden Babylonier und Hebräer dieses Licht ebenfalls sehen konnten, zog er daraus die Kraft, es noch heller aufflammen zu lassen, und dann ertönte seine gewaltige Stimme, dröhnender als eines Menschen Stimme hallte sie von den Gebäuden wider und ließ das Gitterwerk der Häuser erzittern.
›Hinweg von mir - du, Enoch, mitsamt deinem ganzen Stamm.
Ich vergebe dir deine voreiligen Worte. Niemand kennt eures Gottes Antlitz, und euer Gott kennt keine Gnade. Ich aber werde nun den Wind anrufen, damit er euch alle zerstreue!‹
Und tatsächlich kam der Wind. Er kam mit stürmischer Wildheit, stürzte sich über die Dächer hinweg, erhob sich aus der Wüste und trug den Sand mit sich. Marduks goldene Gestalt wuchs vor meinen Augen ins Unermessliche, doch ich wusste, dass das eine Illusion war, denn noch während ich zu ihm aufsah, verblasste er und zerstob zu einem Goldregen. Das Volk verfiel danach vollends in Raserei.
Alles rannte, nicht nur von Panik getrieben, sondern auch von dem, was sie gesehen und gehört hatten, und wenn nicht davon, so doch letztendlich getrieben von dem sandgeschwän-gerten Sturm.
Meine Brüder eilten nun endlich zu mir, der ich allein stehen blieb, zusammen mit Enoch, dem Propheten, der mit weit aus-gestreckten Armen dastand und lachte, lauthals lachte! Dann drang er auf mich ein, wobei er meinen Vater einfach mit seinem Stab zur Seite schob. Er durchbohrte mich mit seinem bösen Blick! Er schaute mir ins Gesicht und sagte: ›Du wirst zahlen dafür, dass du die Speisen des falschen Gottes aßest.
Du wirst zahlen! Ganz bestimmt!‹ Und dann spie er mich an, bückte sich nach einer Hand voll des angewehten Sandes und warf damit nach mir. Meine Brüder baten ihn aufzuhören, doch er lachte und sagte abermals: ›Du wirst zahlen!‹
Ich wurde wütend, ehrlich wütend. Mein sonst so ausgegliche-nes Gemüt ließ mich im Stich. Ich spürte zum ersten Mal diesen Zorn, der schon bald, nach meinem Tode, mein ständiger Begleiter sein würde. Ich beugte mich vor und zischte:
›Bitte Jahwe darum, dass er diesen Sandsturm aufhalte, du Dummkopf!‹ Und dann schleppten mich meine Brüder davon, in des Wortes wahrster Bedeutung.
Ein Trüppchen ergebener Ältester preschte vor, um Enoch zu schützen, und sie hoben ihn hoch und trugen ihn fort, wie man einen Verrückten fortschleppt, wenn er wild um sich schlägt und kreischt, und langsam, zögernd ... während wir den Schutz unserer Häuser suchten, erstarb der Wind.«
4
»Als wir endlich das Haus erreichten, fühlte ich mich sterbens-elend, und meine Brüder mussten mich tragen. Und welcher Anblick bot sich uns dort, direkt vor dem Tor unseres Anwesens?
Erst einmal sahen wir zwei Propheten von der anderen, etwas bedächtigeren Sorte, die, die sich damit beschieden, die Worte des Jeremias nachzuplappern. Bei ihnen war ein altes Weib, das von allen gefürchtet und verachtet wurde. Sie hieß Asenath, und sie gehörte zu unserem Stamm, aber man sagte von ihr, sie beschwöre die Toten, und das zu tun war uns verboten, ob die Hexe von Endor nun Samuel für unseren großen König Saul hatte erscheinen lassen oder nicht.
Na ja, und wir alle gingen dann und wann zu ihr und baten um Hilfe. Also war es so außergewöhnlich nicht, sie vor unserem Tor zu sehen. Sie hatte meine Mutter und auch meine Großel-tern gekannt, sie war also nicht der Feind, sondern einzig und allein jemand mit dem etwas zweifelhaften Ruf, Zaubertränke herzustellen, die Leute töten oder Liebe hervorrufen konnten.
Sie hatte zotteliges, sehr weißes Haar, und ihre Augen waren leuchtend blau und nicht etwa so verwaschen, wie es sonst bei alten Leuten oft der Fall ist. Ihr langes, zerfurchtes Gesicht zeigte in diesem Moment einen absolut triumphierenden Ausdruck. Sie trug scharlachrote Kleidung, hatte sich von oben bis unten in trotzige, scharlachrote Seide gehüllt, als wäre sie eine ägyptische Hure oder etwas in der Art. In der Hand hielt sie einen gewundenen Stab, der in Form einer Schlange auslief, ähnlich denen, die die Propheten mit sich herumtrugen. Sie sprach mich an und sagte: ›Asrael, komm her zu mir. Oder lass mich ein ins
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