Engel der Verdammten
gut. Ich schaute ihn geradewegs an. Letztendlich werde ich sterben, dachte ich. Was soll's also. Warum nicht?
Mein Vater setzte sich auf den freien Stuhl neben mir.
›Asrael, mein Junge, mein hübscher Junge‹, sagte Kyros. Seine Stimme war scharf akzentuiert, klang aber gut gelaunt. ›Ich bin schon seit Tagen in Babylon, samt Tausenden meiner Soldaten. Über einen längeren Zeitraum haben sie sich durch die diversen Tore eingeschlichen. Die Priester wussten das. Dein geliebter König Nabonidus hier - die Götter mögen ihn immerdar gesund erhalten -, er weiß das auch.‹ Er nickte dem arg-wöhnischen, sterbenden alten König edelmütig zu. ›Alle vom König eingesetzten Statthalter und auch seine Beamten wissen, dass ich hier bin. Du siehst, selbst eure Ältesten wissen es. Deshalb habe keine Furcht. Freue dich. Dein Stamm wird reich werden und ewig fortbestehen und in seine Heimat zu-rückkehren.‹
›Und was habe ich damit zu tun?‹, fragte ich.
Ich bin mir bis zum heutigen Tag nicht sicher, warum ich ihm gegenüber so kühl und verachtungsvoll war. Er war unwiderstehlich, aber er war ein Mensch, und jung. Und außerdem, egal, was er bis dahin getan hatte, für mich war er ein Heide, und nicht einmal ein babylonischer. Also behandelte ich ihn sehr kühl.
Er lächelte mich schweigend, abschätzend an.
›Was also habe ich damit zu tun?‹, wiederholte ich die Frage.
›Oder hängt es von deinem Willen ab, Herr, ist dein Wille schon beschlossene Sache?‹
Kyros lachte, um seine vergnügten Augen zogen sich die Fältchen zusammen. Er hatte wirklich die machtvolle Ausstrahlung von Königen, aber wenigstens noch nicht den dazugehörigen Wahnsinn. Er war zu jung, und er hatte das Blut Asiens gierig in sich aufgesogen. Er strahlte Stärke aus. Und Siegesge-wissheit. ›Du sprichst kühn‹, sagte er großmütig. ›Und dein Blick ist kühn. Du bist deines Vaters ältester Sohn, nicht wahr?‹
Einer der Priester warf ein: ›Für die drei Tage, die wir benötigen, muss er schon sehr stark sein. Und Kühnheit ist ein Teil dieser Stärke.‹
›Stellt bitte einen weiteren Stuhl an den Tisch‹, sagte ich. ›Mit Eurer Erlaubnis, König Kyros, und Eurer, meine Herren, König Nabonidus und Belsazar. Stellt ihn hierher an das eine Ende des Tisches.‹
›Warum und für wen?‹, fragte Kyros höflich.
›Für Marduk‹, erklärte ich, ›für meinen Gott, der hier bei mir ist.‹
›Unser Gott ist nicht auf Abruf für dich zur Stelle!‹, brüllte der Hohepriester. ›Er wird nicht deinetwegen seinen Altar verlassen! Du hast unseren Gott nie geschaut, nicht wirklich vor Augen gehabt; du bist ein jüdischer Lügner, du bist...‹
›Schweigt still, Meister‹, sagte Remath mit unterdrückter Stimme. ›Er hat den Gott gesehen, und er hat mit ihm gesprochen, und der Gott hat ihm zugelächelt, und wenn er den Gott auf diesen Stuhl bittet, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Gott auch kommt.‹
Kyros lächelte kopfschüttelnd. ›Wisst ihr‹, sagte er, ›dies ist wahrhaftig eine fantastische Stadt. Ich glaube, ich bin dabei, mich in Babylon zu verlieben. Ich würde einer solchen Stadt nicht ein Haar krümmen. Ach, Babylon!‹
Ich hätte über all dies lachen können, über seine Listigkeit, seine Respektlosigkeit den Priestern und Ältesten gegenüber, über seine Rücksichtslosigkeit und seinen scharfen Verstand.
Doch mir war das Lachen vergangen. Ich schaute ins Licht einer der Lampen und dachte: ›Ich werde sterben.‹
Eine Hand berührte mich. Sie war wie Luft. Keiner konnte sie sehen. Doch es war Marduk. Er hatte im Stuhl zu meiner Linken Platz genommen, saß da, unsichtbar, durchscheinend, golden und lebendig. Mein Vater saß rechts von mir; jetzt schlug er die Hände vors Gesicht und weinte herzzerreißend.
Er weinte wie ein Kind. Unmäßig.
Kyrus betrachtete meinen Vater mitleidig und duldsam.
›Lasst uns fortfahren‹, sagte der Hohepriester.
›Ja‹, sagte auch Enoch, ›lasst uns endlich fortfahren!‹
›Hier, für diese Leute, für die Ältesten und die Priester, und für die Prophetin hier, holt Stühle herbei, damit sie es bequem haben‹, sagte Kyros voll herzlicher Freundlichkeit. Er lächelte mir zu. ›Wir stecken hier alle unter einer Decke.‹
Ich wandte mich Marduk zu. ›Ist das so?‹
Alle beobachteten wortlos, wie ich mit meinem unsichtbaren Gott sprach.
›Ich kann dir nicht sagen, was du tun sollst‹, sagte Marduk.
›Ich liebe dich zu sehr, ich möchte
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