Engel der Verdammten
ist mächtig. Und auch dein Gott, wenn er tatsächlich hier bei uns sitzen kann, ist mächtig, und ich bin bereit, ihn zu verehren. Sie alle zusammen können bewirken, dass die Stadt sich gegen mich stellt.
Das übrige Babylonien ist in meiner Gewalt, aber die Stadt ist das Juwel, sie ist das Tor zum Himmel.‹
›Aber wie könnt Ihr ganz Babylonien in Eurer Hand haben! Unsere Städte stehen fest und sicher, denn irgendjemand war immer auf einem Feldzug hierher, und dass du kommst, wussten wir auch.‹
›Er sagt die Wahrheit‹, warf Nabonidus ein, und als er sich nun zu Wort meldete, blickten alle Augen auf ihn. Er war nicht geisteskrank oder blöde. Nur sehr alt und müde. ›Die Städte sind schon eingenommen, jede Einzelne hat sich Kyros ergeben.
Alle Signaltürme sind in seiner Hand, sie werden von seinen Männern bedient, die Babylon derart in Sicherheit wiegen, doch die Städte sind gefallen, und die Signale, die sie senden, sind gefälscht.‹
›Schaut‹, sagte Kyros, ›ich werde all die Götter, denen ihr hier im Tempel Zuflucht geboten habt, in ihre Städte zurückschik-ken. Ich möchte blühendes Leben in euren Tempeln. Versteht ihr nicht? Ich möchte euch in meine Arme schließen! Auch Ephesus und Milet habe ich nicht verwüstet! Die griechischen Städte sind noch immer griechisch, und die Philosophen führen noch immer ihre Streitgespräche auf der agora. Ich möch-te Babylon an mein Herz nehmen, nicht es zerstört sehen.‹
Daraufhin wandte er sich ruckartig dem ›leeren‹ Stuhl zu, starrte darauf und sagte: ›Aber euer Gott Marduk muss meine Hand nehmen, wenn ich diese Stadt ohne Blutvergießen einnehmen soll. Und dann werde ich alle Götter Babyloniens in ihre Heimatstädte zurückschicken, wie versprochen.‹
Marduk, der für Kyros nicht sichtbar war, lauschte nur und sagte nichts. Doch der Hohepriester wurde wütend. ›Auf diesem Stuhl hier sitzt kein Gott! Denn unser Gott hat sich in einen tiefen Schlaf zurückgezogen, weil der König ihn vernachlässigt hat, und niemand kann ihn daraus erwecken.‹
›Hört mich an, Herr‹, sagte ich, ›warum zieht Ihr mich da mit hinein? Was habe ich damit zu tun? Hier in Esagila habt Ihr das Standbild Marduks, das Ihr für die Prozession braucht. Ihr fahrt mit der Statue zusammen auf dem großen Wagen durch die Stadt, Ihr haltet seine Hand und er die Eure, und schon seid Ihr Babylons König. Wenn die Priester das zulassen, was habe ich dann dabei zu suchen? Majestät, habt Ihr Gerüchte gehört, dass ich den Gott beeinflussen oder ihn gegen Euch wenden könnte? Ihr braucht ein goldenes Götzenbild für Euer Vorhaben? Das gibt es, es steht dort drüben m seinem Tempel.‹
›Nein, mein Sohn‹, antwortete Kyros, ›das hätte wahrscheinlich wunderbar funktioniert, wenn diese Prozession mit dem Gott Jahr für Jahr stattgefunden hätte, wenn die Leute den goldenen Götzen, wie du das nennst, gesehen hätten, wenn sie ihm und eurem König Nabonidus zugejubelt hätten. Aber das Neujahrsfest wurde nicht gefeiert, und das kostbare Standbild würde mit mir an keiner wie auch immer gearteten Prozession teilnehmen, selbst wenn ich das wollte. Was nun vonnöten ist, ist die Zeremonie, wie sie in den alten Zeiten durchgeführt wurde.‹
Ein eisiger Schauer durchfuhr mich. Marduk sah mich an und sagte: ›Ich weiß kaum etwas über das, was er meint, doch uns Geistern ist der Blick in die Zukunft gestattet, und ich sehe Grauenhaftes auf dich zukommen. Sage nichts. Warte ab.‹
Inzwischen hatte sich Unruhe unter den Priestern breit gemacht; denn auf einem Tragegestell hatte man etwas Unförmiges hereingebracht, das mit einem großen Tuch bedeckt war. Geleitet von einigen Fackelträgem wurde es neben dem Tisch abgestellt. Als sie das Tuch fortzogen, schnappten wir alle nach Luft.
Darunter verborgen gewesen war das Standbild, das man für den Festumzug zu benutzen pflegte, doch es war zerbrochen, und durch die zerfallende Hülle bohrten sich menschliche Knochen, ebenfalls im Verfall begriffen, und an einer Stelle, wo die dicke, vergoldete Glasur zu Staub zerfallen war, schaute ein Schädel halb hervor, und das Ganze bot einen entwür-digenden, das Auge beleidigenden Anblick.
Der Priester sah mich grimmig an. Er schlug die Arme über der Brust zusammen. ›Ist das dein Werk, Hebräer? Hast du Marduk veranlasst, dem Standbild zu entkommen? Die Stadt zu verlassen? Warst du das etwa und nicht unser König hier, den wir die ganze Zeit dessen beschuldigt
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