Engel der Verdammten
keinen Fehler machen, und ich weiß nicht, welche Antwort die Richtige ist.‹
›So bleibe wenigstens.‹
›Während der ganzen Zeit.‹
Die Sitzgelegenheiten wurden schnellstens gebracht, und die Ältesten durften sich ganz formlos um uns herum niederlas-sen, neben diesem eroberungsgewohnten Perserkönig, der die Griechen in der ganzen damaligen Welt fast rasend gemacht hatte, der nun unsere Stadt wollte, obwohl er doch alles hatte, was auch wir hatten, nur die Stadt nicht.
Nur der Priester Remath blieb stehen, lehnte ein Stück entfernt an einer vergoldeten Säule. Der Hohepriester hatte ihm zu gehen befohlen, doch er hatte die Anweisung schlicht ignoriert, und man hatte ihn offensichtlich vergessen. Er beobachtete mich und meinen Vater, und in dem Moment wurde mir klar, dass er Marduk wahrnehmen konnte. Nicht so gut wie ich, aber immerhin, er konnte ihn sehen. Remath huschte zu einer Säule direkt hinter Kyros - wo übrigens dessen Soldaten bereitstanden, um bei Bedarf als Schlächter zu wirken - und erreichte damit, dass er uns drei im Auge hatte. Und von dort starrte Remath nun mit kalten, wissenden Augen auf den anscheinend leeren Stuhl und mich.«
5
»›Nun, mein Herr, was verlangt Ihr von mir?‹ fragte ich. ›Warum bin ich, ein hebräischer Schriftgelehrter, plötzlich derart wichtig?‹
›Höre mir gut zu, mein junger Freund‹, antwortete Kyros. ›Ich will Babylon, aber ich möchte keine Belagerung, keine Toten.
Es soll auf die gleiche Art geschehen, wie ich auch die griechischen Städte eingenommen habe, wenn sie einsichtig genug waren, mich gewähren zu lassen. Ich lege keinen Wert darauf, Schutt und Asche hinter mir zurückzulassen. Ich komme nicht mit der Brandfackel und auch nicht mit dem Beutesack, wie ein Dieb. Ich will eure Stadt nicht plündern und auch nicht ihre Einwohner verbannen. Ich will im Gegenteil euch Hebräer alle heimschicken nach Jerusalem, und für den Bau eures Tempels habt ihr meinen Segen.‹
Daraufhin erhob sich Enoch und legte eine Schriftrolle vor uns nieder. Ich nahm sie auf und las sie. Es war eine öffentliche Erklärung, die allen Hebräern Freiheit und die Rückkehr in ihre Heimat zusicherte. Und Jerusalem sollte unter Kyros' wohlwol-lendem Schutz stehen.
›Er ist der Messias‹, sagte Enoch, an mich gewandt. Das war ja wohl eine Drehung um hundertachtzig Grad bei dem Alten.
Nun, da Kyros mit mir redete, redete auch der Prophet mit mir.
Na ja, mit dem Wort Messias meinte er ›der Gesalbte‹. Mehr heißt es eigentlich nicht, auch wenn die Christen dem Wort später eine übermäßige Bedeutung beilegten. Aber immerhin, es war schon ein bedeutsames Wort.
›Dieser Erklärung fügt noch hinzu: Ihr bekommt Gold, Gold weit über eure Vorstellungen hinaus‹, fuhr Kyros fort, ›und die Erlaubnis, euren gesamten Besitz mit euch zu nehmen, ihr bekommt eure Weinberge, eure Ländereien zurück, und ihr sollt loyal zu dem machtvollen Weltreich stehen, das euch erlaubt, Jahwe einen Tempel zu bauen.‹
Ich sah Marduk an. Marduk seufzte. ›Er spricht die Wahrheit, mehr kann ich dir nicht sagen. Er wird die Stadt so oder so einnehmen.‹
›Also kann ich ihm vertrauen?‹, fragte ich meinen Gott.
Das schockierte sie alle. ›Ja‹, antwortete Marduk, ›die Frage ist nur, wie weit... du hörst besser ganz genau zu. Immerhin hast du etwas, das sie haben wollen, nämlich dein Leben, wer weiß, vielleicht gibt es eine Möglichkeit für dich, doch noch davonzukommen.‹
›Aber nein!‹, rief Asenath. ›Gott Marduk, da irrst du dich. Er kann dem Tod nur auf eine Art entkommen, und er sollte sich dafür entscheiden, denn sie ist besser als das Leben selbst.‹
Ich erkannte, dass sie Marduk sehen konnte, zumindest verschwommen, und auch hörte, was er sagte.
Er wandte sich ihr zu: ›Darüber soll er selbst urteilen. Vielleicht ist der Tod besser als die Überraschung, die ihr für ihn bereit-haltet.‹
Kyros beobachtete diese Vorgänge voller Verwunderung.
Dann betrachtete er all die Priester, die sich um uns herum versammelt hatten, unter ihnen auch der Hohepriester und der verschlagene Remath, der dort drüben an der Säule lehnte.
›Ich brauche den Segen eures Gottes‹, bestätigte Kyros, ›damit habt ihr Recht, mehr als Recht‹, gab er mit raffinierter Demut zu, denn es war natürlich genau das, was die Priester nur gar zu gerne hören wollten.
›Du siehst, Asrael‹, sagte Kyros, ›es ist ganz einfach. Die Priesterschaft ist mächtig. Der Tempel
Weitere Kostenlose Bücher