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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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willen!‹
    Wir hörten Klopfen. Priester vom Palast waren gekommen. Wir standen schnell auf, reinigten unsere Gesichter, und dann traten wir in den Hof.
    Dort stand Remath, und wie mein Vater mir gesagt hatte, erinnerte ich mich sofort an ihn, als ich ihn sah. Ich hatte kaum je mit ihm gesprochen, denn er war wirklich ein ständig Unzufriedener; ich meine, er hasste Nabonidus glühend, weil der Marduks Tempel nicht gab, was diesem zustand, doch eigentlich hasste er jedermann. Gewöhnlich stand er nur untätig im Tempel herum. Doch er war schlau. Das wusste ich. Und er war sehr unruhig. Jung und raffiniert.
    Er betrachtete uns nun forschend mit seinen tief liegenden, in die bleiche Haut wie eingegraben wirkenden Augen. Seine lange, scharfe Nase gab ihm einen verächtlichen Ausdruck.
    Und ansonsten war da nur der übliche Wust krauser schwarzer Haare ... und das priesterliche Gewand, sehr kostbar bis hin zu den juwelenbesetzten Sandalen. Er schob sich näher an meinen Vater und sagte: ›Hat Asenath es dir gegeben?‹
    ›Ja, aber das heißt nicht, dass du es von mir bekommst.‹
    ›Du bist ein Dummkopf, wenn du es mir nicht gibst. Dein Sohn wird sonst bald unter der Erde liegen. Wozu wäre das gut?‹
    ›Beschimpfe mich nicht, Heide‹, sagte mein Vater, ›sieh lieber zu, dass wir vorankommen. Los jetzt.‹
    In der Vorhalle erwarteten uns weitere Priester, und als wir vor das Tor traten, fanden wir dort bunt geschmückte Sänften vor, für jeden von uns eine, die uns zum Palast bringen sollten. Ich lehnte mich in meiner zurück und grübelte darüber nach, wie ich aus alldem schlau werden sollte.
    ›Marduk, wirst du mir helfen?‹, flüsterte ich.
    Marduk antwortete: ›Ich weiß nicht, was ich dir sagen soll, Asrael, wirklich nicht. Ich kann mir vorstellen, was bald geschehen wird. Nur eines weiß ich, ich werde immer noch da sein, wenn dies alles vorbei ist. Ich werde durch Babylons Straßen ziehen auf der Suche nach Augen, die mich wahrnehmen können, auf der Suche nach Weihrauch, nach Gebeten, die mich aufrütteln können. Doch wo wirst du dann sein, Asrael?‹
    ›Sie werden mich töten. Aber warum?‹
    ›Sie werden es dir sagen. Du wirst es erfahren. Aber ich kann dir eines versichern. Sie werden dich so oder so töten, auch wenn du dich weigerst, ihren Wünschen nachzukommen. Und möglicherweise töten sie auch deinen Vater, weil er ihren Plan kennt.‹
    ›Ich verstehe. Das hätte mir eigentlich von Anfang an klar sein müssen. Sie brauchen mich zwar, doch arbeite ich nicht mit ihnen zusammen, wäre es besser für mich, wenn sie mich gar nicht erst gefragt hätten.‹
    Seine einzige Antwort war Schweigen, doch ich spürte seinen Atem und wusste, er war nahe bei mir. Er war nicht körperlich vorhanden, doch das war unwichtig, denn die Dunkelheit in der von Vorhängen verhüllten Sänfte erzeugte eine um so größere Intimität.
    ›Marduk, kannst du mir nicht aus dieser Sache heraushel-fen?‹, fragte ich.
    ›Darüber denke ich schon seit Stunden nach, schon seitdem euer Prophet all diesen Dreck gegen mich ausgespien hat. Ich habe mich immerzu gefragt, ob ich etwas tun kann. Doch, siehst du, Asrael, ohne deine Kraft kann ich nichts vollbringen, gar nichts. Ich kann der goldene Gott auf dem Thron sein, mehr nicht. Oder das Standbild, das man während der Prozession durch die Stadt trägt. Das sind nur Hüllen, die haben sie bereits. Und wenn ich mit dir auf und davon ginge... wenn wir entkommen könnten, wohin könnten wir uns wenden?‹

    Ein merkwürdiges Geräusch war mit einem Mal in dem kleinen verhüllten Raum zu hören. Er weinte. Sagte dann plötzlich:
    ›Asrael, sag nein! Lass dich nicht auf ihre widerlichen Pläne ein. Weigere dich. Tu's nicht, nicht für Israel, nicht für Abraham und auch nicht für Jahwe. Weigere dich!‹
    ›Um zu sterben?‹ Er antwortete nicht.
    ›Nun, ich sterbe so oder so, oder?‹
    ›Es gibt eine dritte Möglichkeit‹, sagte er.
    ›Du sprichst von Asenaths Tontafel.‹
    ›Das meine ich. Aber es ist grässlich, Asrael, es ist grässlich.
    Und ich weiß nicht, ob wahr ist, was auf der Tafel steht. Sie ist älter als ich. Sie ist älter als Marduk, älter als Babylon, diese Tafel; sie stammt aus der Stadt Uruk. Vielleicht sogar aus noch früherer Zeit. Sie ist sehr alt. Was soll ich dir raten? Du musst wissen, was du willst. Nimm die Chance wahr!‹
    ›Marduk, verlass mich nicht‹, flüsterte ich. ›Bitte.‹
    ›Bestimmt nicht, Asrael, du bist mir der liebste

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