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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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erinnern. An jenem Tag, als Marduk dich anlächelte - du warst damals noch ein Kind -, stand Remath in einem Winkel des Bankettsaals. Er ist noch jung, ehrgeizig, hasst Nabonidus aus tiefstem Herzen, und hasst Babylon zumindest genug, um von hier fortzuwollen.‹
    ›Und was hat das mit mir zu tun?‹
    ›Ich weiß es nicht, mein Sohn, du, mein wunderschöner, über alles geliebter Sohn. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur eines, dass Israel dich anfleht, zu tun, was Marduks Priester von dir verlangen. Und was diese Tafel betrifft? Ich weiß es nicht. Ich weiß es einfach nicht.‹
    Er hörte gar nicht mehr auf zu weinen. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, unvermittelt entriss ich ihm das Päckchen und las die sumerische Aufschrift.
    ›Wie man den Hüter der Gebeine schafft.‹
    ›Was ist das, Vater?‹, fragte ich. Er wandte mir sein vom Weinen verzerrtes Gesicht zu, wischte sich über den tränenfeuch-ten Bart und die Lippen und nahm die Tafel wieder an sich.
    ›Überlasse das meinem Urteil‹, sagte er mit tränenerstickter Stimme, und dann stand er auf und tastete die Wände nach losen Ziegeln ab, die man vielleicht herausziehen könnte‹, Schließlich fand er das Versteck, nach dem er gesucht hatte, und legte die Tafel hinein.
    ›Wie man den Hüter der Gebeine schafft‹, wiederholte ich.
    ›Was kann das heißen?‹
    ›Wir müssen hinaufgehen zum Tempel, mein Sohn, zum Palast. Könige warten dort auf uns. Abkommen sind geschlossen, gegenseitige Versprechen gemacht worden.‹ Dann umarmte er mich und küsste mich langsam, küsste jedes einzelne Fleckchen meines Gesichts, den Mund, die Stirn, die Augen.

    ›Als Jahwe Abraham befahl, Ihm Isaak zu opfern‹, sagte er,
    ›da tat unser ehrwürdiger Urvater Abraham, wie ihm geheißen ward, das weißt du.‹
    ›So steht es auf den Tontafeln und den Schriftrollen, Vater; aber hat denn Jahwe dir befohlen, mich zu opfern? Ist zusammen mit den anderen, mit Enoch und Asenath, auch Jahwe zu dir gekommen? Willst du mich das glauben machen?
    Vater, du grämst dich schon jetzt um mich. In deinem Geist bin ich schon tot. Was soll das? Sag, warum soll ich sterben? Wo-zu? Was verlangt ihr? Soll ich selbst, in Person, dem Gott abschwören, soll ich dem König sagen, der Gott wolle sein Bestes? Wenn ihr ein Schauspiel wollt, das werde ich euch bieten! Aber, Vater, weine nicht um mich, als sei ich schon tot.‹
    ›Es ist ein Schauspiel‹, gab er zu. ›Aber nur eine sehr starke Persönlichkeit kann das durchstehen, jemand, der die entsprechende innere Überzeugung und das Durchhaltevermö-
    gen dazu hat, und ein großes, von Liebe erfülltes Herz. Liebe zu seinem Volk, Liebe zu seinem Stamm, Liebe zum für uns verlorenen Jerusalem, Liebe zu dem Tempel, der dort zur Eh-re unseres Herrn wieder aufgebaut werden soll. Wenn ich glaubte, ich brächte das fertig, ich könnte dieses Schauspiel von Anfang bis Ende durchstehen, dann täte ich es selbst. Du kannst uns auch im Stich lassen, du kannst Nein sagen, du kannst fliehen.
    Doch nicht nur die Priester Marduks wollen dich, mein Sohn, sondern auch andere, wesentlich mächtigere Figuren. Sie wollen dich. Und sie wissen, dass du stärker bist als alle deine Brüder.‹ Seine Stimme brach.
    ›Ich verstehe‹, murmelte ich.
    ›Und du bist der Einzige, der mir je vergeben könnte, ihn zu einem solchen Schicksal verdammt zu haben.‹
    Ich war wie vom Donner gerührt. Ich sah ihn nur an, sah die Tränen in seinen Augen und sagte: ›Weißt du, Vater, zumindest was das betrifft, hast du wahrscheinlich Recht. Ich könnte dir alles vergeben; denn ich kenne dich, du würdest mir nichts Böses tun, bestimmt nicht.‹
    ›Nein, bestimmt nicht. Asrael, weißt du, was es für mich bedeutet, dass du mir genommen werden sollst, du, und damit auch das Weib, die Söhne und Töchter, die du haben könntest? Ach, das ist unwichtig. Vergib mir, Sohn, vergib mir mein Tun. Ich bitte dich. Bevor das Ganze beginnt, ehe wir zum Palast gehen und uns dort die Lügen anhören, den Plan erfahren, gewähre mir Vergebung.‹
    Er war mein Vater. Er war lieb und gut und überwältigt von Schmerz und schrecklichem Kummer. Es fiel mir leicht, ihn in die Arme zu schließen, als sei er mein kleiner Bruder, und ihm zu versichern: ›Vater, ich vergebe dir.‹
    ›Vergiss das nie, Asrael‹, sagte er. ›Wenn du leidest, wenn sich die Stunden dahinschleppen, wenn du Schmerzen hast, vergib mir ... nicht nur um meinetwillen, nein, um deiner selbst

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