Engel der Verdammten
auf annehmbare Art bewerkstelligen kann.‹
›Lebendig, und mit Gold überzogen.‹ Ich war verblüfft. ›Und dann?‹
Asenath mischte sich ein: ›Zu dem Zeitpunkt wird das Gold erstarrt sein, und du wirst sterben. Du wirst noch eine Weile hö-
ren und sehen können, doch du wirst in dieser Hülle sterben, und wenn deine Augen zu verwesen beginnen, werden sie sie entfernen und durch Juwelen ersetzen, und das Standbild des Marduk wird dein Leichentuch sein.‹
Mein Vater vergrub sein Gesicht in den Händen, doch dann schaute er auf. ›Ich habe diese alte Zeremonie niemals miter-lebt‹, sagte er leise. ›Doch der Vater meines Vaters hat es einst gesehen, so sagte er wenigstens. Und es ist ein dem Gold beigemischtes Gift, das dich töten wird. Du wirst langsam sterben, indem das Gold deine Haut durchdringt, das Herz und die Lunge erreicht, und dann ... dann wirst du endlich Frieden finden.‹
›So ist es‹, sagte Asenath, ›aber zuerst wirst du in deinem goldenen Glanze die Prozessionsstraße in ihrer ganzen Pracht hinter dich bringen müssen, und du musst deine Hand zum Gruß erheben und auch den Kopf hierhin und dorthin wenden, wenn auch nur ganz leicht, da der dicke Überzug ja zusehends aushärtet.‹
›Und dafür, dass du das tust‹, fügte Enoch hinzu, ›werden wir, wir alle, zurückkehren nach Jerusalem, selbst die, die jetzt Gefangene sind, und wir werden die Mittel haben, den Tempel des Herrn wieder so aufzubauen, wie König Salomon ihn einstmals errichtet hatte. ‹
›Ich verstehe‹ sagte ich. ›Man nahm also einen lebendigen Menschen, damals, vor längst vergangener Zeit! Und wenn dann schließlich das Standbild zerfällt ...‹
›Du Gotteslästerer!‹, rief der Hohepriester. ›Das da drinnen sind die Gebeine Marduks!‹
Das reichte Marduk endlich. Unsichtbar oder nicht, er sprang auf, wobei er seinen Stuhl umstieß, und ein weit ausholender Stoß seiner linken Hand zerstreute die Knochen in alle Himmelsrichtungen; sie prallten gegen die Wand und zerfielen.
Alle duckten sich ängstlich, selbst ich zog den Kopf ein. Nur Kyros verharrte regungslos, doch er starrte mit kindlich aufgerissenen Augen auf die Bescherung, und der alte Nabonidus legte den Kopf erschöpft auf seine Arme, als wolle er sich schlafen legen. Enoch, der Prophet, zog eine höhnische Grimasse.
Marduk wandte sich mir zu. Er schaute zuerst mich, dann Asenath durchdringend an. ›Ich durchschaue deine Ränke, Alte!
Aber du darfst ihm nichts verschweigen! Sage ihm die ganze Wahrheit! Du bist mit den Toten vertraut! Was erzählen sie dir, wenn du sie herbeirufst? Asrael, tu, was du für dein Volk und deinen Stamm tun willst. Ich werde nach deinem Tode hier sein, so wie ich auch jetzt hier bin, doch ob du dann imstande sein wirst, mich zu sehen und mir Kraft zu geben, und ob ich dich sehen und stärken kann, das weiß niemand. Auch nicht, ob ich dann noch zu dir sprechen kann. Diese große Prozession, der Kampf mit den Mächten des Chaos, die Krönung und die Qual werden eine schwere Prüfung für deine Seele sein!
Doch all diese Qualen sind keine Garantie dafür, dass du als Geist fortlebst. Du könntest genauso gut im Nebel vergehen, wie all die anderen erschöpften, umherirrenden Toten. Die Toten der ganzen Welt, ungeachtet irgendwelcher Götter, Engel, Dämonen, ungeachtet auch Jahwes. Handle nach deinem Willen, wie ein ehrenhafter Mann, Asrael. Denn wenn es erst getan ist, ist es ungewiss, ob selbst ich, so stark ich auch bin, dich dann noch finden oder dir zu Hilfe kommen kann.‹
Asenath fieberte vor Erregung. ›Ich würde dich anbeten, Marduk, wenn du nicht ein böser, nichtswürdiger Gott wärest. Du bist schlau.‹
›Was sagt der Gott?‹, verlangte Kyros zu wissen.
Enoch sah Asenath an. ›Wir müssen ihm jetzt sagen, was mit ihm geschehen wird, das ist alles. Asrael, du hast Ähnlichkeit mit Marduks Standbild. Mit Gold überzogen wirst du selbst deine Freunde narren können. Niemand wird wissen, dass du nicht der Gott bist, du wirst wirken wie aus lebendem, bewegli-chem Gold; Taubheit wird deine Glieder durchdringen, und du wirst einen leichten Schmerz verspüren, ja, einen dumpfen Schmerz, wenn das Leben langsam aus dir entweicht, doch es wird nicht grauenvoll sein. Noch während du im Prozessionszug schreitest, wird sich dein Volk auf den Auszug aus Babylon vorbereiten.‹
›Nun, nichts einfacher als das‹, sagte ich. ›Lasst die gesamte hebräische Bevölkerung jetzt sofort ziehen, und ich
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