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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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willige ein.‹
    Ich spürte, wie sich mir die Kehle zusammenschnürte. Ich wusste, dem zuzustimmen, das war jugendliche Dummheit, und nur allzu bald würde mich ein kaum zu ertragendes Grauen überkommen.
    ›Das geht nicht, mein Sohn‹, sagte Kyros. ›Wir brauchen euer Volk und eure Propheten. Sie müssen verkünden, dass Kyros, der Perser, der Gesalbte eures Gottes ist, und alle Einwohner der Stadt müssen uns in einem tosenden Chor vereint zujubeln. Und ich will dir nichts vormachen, ich glaube nicht an Marduk, deinen Gott, und ich glaube auch nicht, dass du selbst ein Gott wirst, wenn du das von dir Verlangte tust.‹
    ›Sag ihm alles!‹, forderte Marduk.
    ›Nicht jetzt, und außerdem ist diese Seite der Angelegenheit nicht von Bedeutung‹, sagte Asenath. ›Er wird es vielleicht nicht wollen, das weißt du so gut wie ich.‹
    ›Asrael‹, sagte Marduk und schloss mich in die Arme, ›ich liebe dich. Ich werde während des Festumzugs bei dir sein. Sie sagen die Wahrheit. Sie werden dein Volk gehen lassen. Ich ertrage diese sterbliche Gesellschaft nicht länger. Asenath, sei freundlich zu den Toten, die du so häufig anrufst, denn sie verlangen verzweifelt, ganz verzweifelt danach, in Kontakt mit dem Leben zu sein. Das weißt du.‹
    ›Ich weiß es, Gott der Heiden‹, antwortete sie. ›Und ihr werdet nun herkommen und mit mir sprechen!‹
    ›Niemals!‹, schrie der Hohepriester, beruhigte sich aber schnell. Er sah die anderen beiden Priester an, Männer, an die ich mich kaum erinnerte. Remath, der Listige, sprach schließ-
    lich. ›Denkt daran, sie ist die Einzige, die weiß, wie man die Goldmischung zubereitet.‹

    Ich lachte. Ich konnte nicht an mich halten. Ich lachte.
    ›Ah, ich verstehe‹, sagte Kyros. ›Darum wendet ihr euch also an diese kanaanitische Zauberin, weil euren eigenen Weisen das Geheimnis abhanden gekommen ist.‹
    Langsam erholte ich mich von meinem Gelächter - in das niemand eingestimmt hatte - und wurde still.
    Ich musste meinen ganzen Mut zusammennehmen, um meinen Vater anzusehen. Er saß dort wie ein gebrochener, völlig erledigter Mann, mit tränennassen Augen und erstarrtem Gesicht. Man hätte denken können, dass ich schon im Grab war.
    ›Vater, du musst ebenfalls kommen, du und all meine Brüder.‹
    ›Ach, Asrael ...‹
    ›Nein, Vater, das ist das Einzige, was ich noch von euch verlange. Kommt. Wenn man uns die Prozessionsstraße entlang-führt, möchte ich sehen, dass du, dass meine Familie das Gesicht zu mir erhebt. Das heißt, natürlich nur, wenn du diesen Männern und ihren Erklärungen glaubst.‹
    ›Gold ist schon ausgehändigt worden‹, warf Kyros ein. ›Und es sind schon Boten unterwegs nach Jerusalem. Deine Familie wird eine besondere Stellung innerhalb eures Stammes einnehmen, und man wird dein Andenken stets ehren wegen dieses Opfers.‹
    ›Eher würden sie das Andenken der Hölle ehren, großer Kö-
    nig‹, sagte ich erbittert. ›Hebräer ehren das Andenken jener nicht, die sich als babylonische Götter ausgeben. Doch ich willige trotzdem ein. Ich tue es, weil mein Vater es wünscht ...
    und ich ... ich vergebe ihm.‹
    Mein Vater sah mich an. In seinen Augen konnte ich alles lesen, seine Liebe zu mir, sein gebrochenes Herz. Dann richtete er den Blick auf Enoch und Asenath und die Ältesten unseres Stammes, die während der ganzen Zeit stumm dagesessen hatten, und schließlich sprach er die ganz schlichten Worte:
    ›Ich liebe dich, mein Sohn.‹
    ›Vater, ich möchte, dass du eines weißt‹, sagte ich zu ihm. ›Es gibt noch einen Grund für meine Einwilligung ... ich tue es für dich, für unser Volk, für Jerusalem und weil ich mit einem wahrhaftigen Gott gesprochen habe. Doch es gibt einen weiteren Grund, und der ist ganz einfach zu verstehen. Ich möchte nicht, dass ein anderer Mensch dies ertragen muss. Ich wünsche es keinem Menschen.‹
    Sicherlich entsprangen meine Worte auch einer gewissen Eitelkeit, aber das schien keiner zu bedenken. Oder wenn, dann verziehen sie es mir. Die Ältesten erhoben sich, in der Hand hielten sie die Urkunde mit der begehrten Erklärung. Alle waren zufrieden. Es war vollbracht. Kyros, der Perser, war der Messias.
    ›Morgen früh werden wir die Trompeten erschallen lassen‹, sagte der Hohepriester. ›Wir werden verkünden, dass Kyros von Marduk hergeführt wurde, damit er uns von Nabonidus befreie! Man ist schon dabei, die Prozessionsstraße für die Feier vorzubereiten. Wenn die Sonne hoch am Himmel

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