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Engel der Vergessenen

Engel der Vergessenen

Titel: Engel der Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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hatte seine Truppe in Marsch gesetzt. Mit drei Lastwagen und vier Jeeps fuhren sie bereits über die einzige Straße durch das tigerverseuchte Gebiet nach Nongkai.
    »Der Gouverneur weiß auch, wer für den Aufstand verantwortlich ist!« sagte Taikky. Es waren seine ersten Worte. Die völlige Gleichgültigkeit seiner Stimme bewies Haller, daß er der Verlierer war, bevor der Kampf überhaupt begonnen hatte. Man hatte ihm den Schwarzen Peter zugespielt – jetzt noch mit dem Gouverneur zu reden, wäre völlig sinnlos. Die Dinge waren in Fluß geraten, ein Ausländer, ein Weißer noch dazu, hatte sich gegen die Ordnung gestellt. Für die Beamten in Lashio und erst recht in Rangun war Nongkai ein Musterdorf. Und dieses Dorf befand sich jetzt im Zustand der Rebellion. Zwei Blutopfer zeugten davon! Was brauchte man mehr, um diesen lästigen Weißen abschießen zu können?
    »Ein Meisterwerk, Taikky«, sagte Haller. »Wissen Sie, warum dieser ganze Rummel ist? Damit ich bleibe. Aber ich will nicht! Jetzt nicht mehr. Ich überlasse Ihnen Nongkai wieder. Saugen Sie es weiter aus, Sie Riesenblutegel!«
    »Das ist jetzt alles unwichtig.« Über Taikkys Gesicht zog ein feistes Lächeln. »Kranken kann man verzeihen, und wir werden ihnen verzeihen.« Er legte die fetten Hände über die umgehängte Maschinenpistole. »Aber ein Arzt, der Todgeweihte zum Terror aufwiegelt …«
    Tiefes Schweigen lag über dem Platz. In dem vorderen Bett starb der Kranke, der eben noch so laut geröchelt hatte. Pala beugte sich über den Toten und zog die Decke über das eingefallene, kaum noch kindskopfgroße Gesicht. »Ihr nächstes Opfer, Haller«, sagte Karipuri.
    »Reden Sie keinen Quatsch! Er wäre heute sowieso gestorben.«
    »Aber nicht auf einem Marktplatz.«
    »Ich bin wieder einmal völlig Ihrer Meinung.« Haller blickte auf seine Armbanduhr. »Wann sind die Soldaten hier?«
    »Wenn sie schnell fahren, in drei Stunden.«
    »Das genügt!« sagte Minbya plötzlich. Karipuri drehte sich um.
    »Zu was?«
    »Aus Nongkai eine Festung zu machen. Wir werden unseren Doktor beschützen, bis keiner mehr von uns lebt. Und der letzte von uns wird sich vor den Doktor stellen, wird ihn umarmen und dann auch sterben.«
    »Ein Dorf voller Wahnsinniger!« sagte Taikky. »Haller, da sehen Sie, was Sie aus Nongkai gemacht haben! In ein paar Tagen …«
    »Eine Festung! Mit euren alten Gewehren gegen die modernen Waffen der Armee?« schrie Karipuri. Ihm war das Schicksal der Kranken gleichgültig, aber wenn ein ganzes Dorf sich zusammenschießen ließ für einen einzigen Mann, dann würde man auch in Rangun hellhörig werden und eine Kommission nach Nongkai schicken. »Ihr habt keine Chancen!«
    »Wollen wir denn eine Chance haben?« Minbya hob die Hand. Aus der Tiefe des Vierecks tauchten jetzt Köcher mit Pfeilen auf, Lanzen aus Bambusstangen, die kräftigen gesunden Männer liefen hinter die am nächsten liegenden Häuser und kamen mit Brettern zurück, die mit langen, nadelspitzen Pflöcken gespickt waren. Gebogene Dolche wurden in die erste Reihe gereicht, ein paar Macheten und vier chinesische Schwerter. Eines davon war das Henkerschwert, mit dem man den Brüdern Khawsa die Köpfe abgeschlagen hatte.
    »Das genügt«, sagte Minbya, als die Waffen in den Händen der Menschen in den vorderen Reihen lagen. Nicht nur Männer – auch Frauen und Kinder streckten Karipuri Lanzen und Dolche entgegen. Ein Igel aus Pfeilen, Messern und Speeren gegen Maschinengewehre und Granatwerfer!
    Und dann geschah etwas, was selbst Haller unfähig machte, von Vernunft zu reden.
    Die Krankenpfleger deckten die Betten der Schwerkranken auf. In den freien Raum des Vierecks traten die ambulanten Kranken, deren Lepraknoten ulzerös geworden waren und die in besonderen Hütten am Rand des Dorfes wohnten.
    Die Pfleger wickelten die Verbände von den Gliedmaßen der Schwerkranken, die Ambulanten rollten selbst die Verbände auf, und dann traten die anderen Männer an sie heran und tauchten Pfeil- und Speerspitzen, die Nadeln der großen gespickten Bretter, die Klingen der Dolche und Schwerter in die Wunden der Leprösen.
    Fassungslos, fahlgrau im Gesicht starrte Karipuri auf dieses Präparieren der primitiven Waffen. Giftpfeile waren nichts Neues. Aber wenn bekannt wurde, daß man mit Pfeilen beschossen wurde, die mit Lepra-Exsudat getränkt waren, würde es keinen Soldaten geben, der in die Schußweite dieser gräßlichen Waffen stürmen würde. Es war von Minbya ein Meisterstück

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