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Engel des Todes

Engel des Todes

Titel: Engel des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marshall
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Schweigen vor sich hin.
    Ich dachte an John Zandt und fragte mich, wozu er wohl fähig beziehungsweise nicht fähig wäre. Ich erinnerte mich auch an etwas, das er bei unserem Treffen vor dem Hotel in San Francisco gesagt hatte und das mir damals keinen Sinn zu haben schien.
    Manchmal muss man sehr weit zurückgehen, um zu tun, was getan werden muss.
    Jetzt wurde mir klar, was er damit gemeint haben könnte.
    Nina stellte den Wagen auf dem Parkplatz ab, und wir stiegen aus. Sie ging auf die Treppe zu, und ich folgte ihr, mühsam meine Tasche schleppend.
    »Nina«, rief ich laut. Meine Stimme hallte auf dem schmutzigen Beton wider und klang flach und ausdruckslos.
    Sie drehte sich um und schlug mir ins Gesicht. Ich war so überrascht, dass ich rückwärts taumelte. Sie trat an mich heran und schlug mich wieder und dann noch ein drittes Mal, wobei sie etwas schrie, was ich nicht verstand.
    Ich versuchte schützend die linke Hand zu heben, doch der Schmerz in der Schulter war so groß, dass dabei nur eine unbeholfene Geste herauskam. Ich sah, dass sie meine Schwäche bemerkte, und dachte schon, sie würde nochmals zuschlagen, nun direkt auf die Schulter – doch dann hielt sie im letzten Augenblick inne.
    Sie funkelte mich wütend an, und ihre Augen waren so grün und leuchteten so stark wie noch nie zuvor.
    »Tu das nie wieder!«, fauchte sie. »Verheimliche nie wieder etwas vor mir.«
    »Nina, ich wusste nicht, ob …«
    »Das spielt keine Rolle. Tu’s einfach nie wieder. Ich will nicht so behandelt werden wie irgendeine … Tusse, die mit dem zufrieden sein muss, was man ihr sagt. John hat das mit mir gemacht, und wenn ich ihm noch einmal begegne, dann schlage ich ihm die Nase ein.«
    »Schön, aber lass es nicht an mir aus …«
    »Weil du zu bedauern bist? Binnen zwei Tagen habe ich meinen Job verloren, mein Ex fängt an Leute umzubringen, Gott weiß wie viele, ich habe meine älteste Freundin verprellt und zugesehen, wie mein Chef niedergeschossen wurde. Ich habe immer noch sein Blut auf meiner Bluse, wie andere mir gesagt haben. Also tu nicht so, als wärest du …«
    Sie hörte auf zu schreien, blinzelte rasch, und da merkte ich, dass ihre Augen nicht wegen der Nähe so leuchteten, sondern weil sie voller Tränen standen. Ich riskierte es, ihr die Hand auf die Schulter zu legen. Sie schüttelte sie wütend ab, und plötzlich waren ihre Augen wieder trocken.
    »Nina, es tut mir leid. Ich bin eben überhaupt nicht gewohnt, mich mitzuteilen. Ich habe drei Monate wie in einem Vakuum gelebt, und auch vorher war ich nicht besonders gesprächig. Mein ganzes Leben lang war ich auf den Trost fremder Menschen angewiesen, auf Personal in Hotels und Bars. Ich bin’s einfach nicht gewohnt, jemanden um mich zu haben, der mir zuhört und dem ich etwas bedeute.«
    »Ich sage nicht, dass du mir etwas bedeutest. Ich sage lediglich, lüge mich nicht an. Verheimliche mir nichts.«
    »Gut«, sagte ich, »ich habe verstanden.« Das dachte ich jedenfalls. John hatte sie tief verletzt. Und ich war jetzt sein Stellvertreter. Zornig, wie sie war, konnte er von Glück sagen, nicht hier zu sein.
    Sie trat einen Schritt zurück, legte die Hände an die Hüften und schaute zur Seite. Dann fragte sie, wobei sie lange und heftig ausatmete: »Habe ich dir an der Schulter wehgetan?«
    »Nicht der Rede wert«, beruhigte ich sie. »Aber mein Gesicht brennt, als wenn ich gegen eine Mauer gelaufen wäre. Wer von dir gegongt wird, der erinnert sich noch lange daran.«
    Sie richtete den Blick wieder auf mich und sah mich schräg an. »Ja. Du weißt jetzt, womit du zu rechnen hast. Also fordere es nicht noch einmal heraus.«
    »Ich werde mich bemühen.«
    »Mehr als das. Bemühen kann sich schließlich jeder.«
    »Gut«, sagte ich nun ernsthaft. »Glaube mir. Ich werde es nie wieder tun.«
    »Fein«, sagte sie und lächelte dazu rasch, wie der Flügelschlag eines Vogels, aber das genügte schon, dass mir ein wohliger Schauer den Nacken hinunterlief. »Und denk dran, ich habe auch eine Knarre.«
    Dann drehte sie sich um und marschierte die Treppe hinauf.
    »Weiß Gott«, stöhnte ich, »du bist wirklich anders als die anderen Frauen.«
    »Stimmt«, bestätigte sie, ohne dass ich mit Gewissheit hätte sagen können, ob sie scherzte oder nicht. »Ihr Männer habt bloß keine Ahnung.«
     
    Wir erreichten den letzten Flug nach Seattle nur mit knapper Not. Bis wir durch die Kontrollen gegangen und ein Auto gemietet hatten, war es Mitternacht. Mit ein

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