Engel des Todes
handelte und keine Straftat vorlag. Doug sagte aber, es sei sichergestellt worden, und wenn morgen nicht zu viel los ist, könnte jemand hinfahren und einen Blick darauf werfen. Der Anruf kam aus einem Ort fünfzig Meilen hinter Snoqualmie, noch tiefer in den Bergen. Ich glaube, wir werden vorher dort sein.«
»Wohin fahren wir jetzt genau?«
Sie schaute kurz auf die Karte und legte dann den Finger auf einen Punkt, der mitten im Gebirge zu liegen schien.
»Sheffer. So heißt der Ort.«
Gegen ein Uhr nachts schlief Nina ein. Ihr Kopf hing entspannt, die Arme blieben fest vor der Brust verschränkt. Ich hörte ihren Atem gehen, während ich auf dem Highway 90 weiter Richtung Osten raste. Draußen war es zu dunkel, um Konturen der Landschaft zu erkennen, aber mit irgendeinem rudimentären Organ meines Körpers spürte ich doch, dass wir ständig an Höhe gewannen. Hin und wieder kam uns ein Auto entgegen, Reisende mit anderen Zielen.
Je steiler es bergan ging, desto langsamer wurden wir, erst fielen wir auf fünfzig, dann, als die Kurven enger wurden, sogar auf vierzig Meilen pro Stunde zurück. Draußen wurde es sehr kalt, Nebel hing in den Bäumen, die die Straße säumten, dazu der Schein von Laternen und über allem der Mond, der mit den Wolken Bäumchen wechsle dich spielte. Ich fuhr einmal rechts heran, um mir ein deutlicheres Bild zu machen, in was für eine Gegend wir eigentlich kamen. Nina rührte sich, wachte aber nicht auf, und so fuhr ich so sanft wie möglich weiter.
Gleich hinter dem Bergkamm bog ich auf eine schmalere Landstraße, wo ein Schild anzeigte, dass uns noch zehn Meilen von Sheffer trennten. Zu dem Eindruck, dass Berge und Bäume nur Kulissen waren, kam nun das Gefühl, ungebetener Gast zu sein.
Sheffer war klein und verschlafen. Es war Viertel vor drei in der Frühe. Während ich langsam die Hauptstraße entlangfuhr, kam ich mir wie ein Außerirdischer vor, der genau den richtigen Zeitpunkt für sein unauffälliges Auftauchen gewählt hatte. Ich kam an einem Marktplatz, einer Bar und ein paar Restaurants vorbei. Dann sah ich ein Schild, das auf ein Motel am Ende des Ortes verwies.
Ich folgte dem Schild, bog ab und fuhr in weitem Bogen auf den Parkplatz des Motels. Im Empfang brannte kein Licht mehr. Ich machte mir keine Hoffnungen, bei einem so kleinen Ort außerhalb der Saison eine Nachtglocke zu finden. Es sah ganz nach ein paar kalten Stunden auf dem Autositz aus.
Ich stellte den Motor ab, machte die Wagentür auf und schlüpfte so rasch wie möglich nach draußen, damit nicht zu viel kalte Gebirgsluft ins Wageninnere strömte. Ich hatte vor, noch eine Zigarette zu rauchen und mich dann auch schlafen zu legen.
Während ich draußen stand und rauchte, fielen mir die vier Autos auf, die am anderen Ende des Parkplatzes standen. Gewiss, auf Motelparkplätzen standen immer Autos. Aber wir suchten ja nach einem ganz bestimmten.
Ich wusste nicht, welches Kennzeichen das Auto haben sollte. Nina hatte es mir nicht gesagt, und ich hätte es wahrscheinlich auch nicht behalten. Und sollte es wirklich vor einem Motel stehen?
Ich ging zu dem ersten Auto in der Reihe und schaute durch das Fenster ins Innere. Die Rückbank war voller Urlaubskram: zusätzliche Jacken, Wanderkarten und eine Auswahl an buntem Plastikspielzeug, das die Frage, wie lange es denn noch dauere, im Keim ersticken sollte.
Das nächste Auto stand ein paar Schritte entfernt. Draußen war es bitterkalt, und ich hatte meine Zigarette aufgeraucht. Ich dachte schon daran aufzugeben, ging dann aber doch hinüber. Das Auto sah nicht wie ein Mietwagen aus. Es war groß, rostig und schmutzbedeckt. Trotzdem bückte ich mich, um hineinzuschauen.
Erst in letzter Sekunde hörte ich leise Schritte und wollte mich umdrehen.
Plötzlich sah ich Sterne, dann wurde mir schwarz vor den Augen.
25
E twas Rotes, wie ein Leuchtfeuer über einem nächtlichen Hafen. Ein leises Geräusch wie anschlagende Wellen am Ufer – ein Geräusch, wie es die Welt macht, wenn sie meint, dass keiner sie hört. Eine angenehme Benommenheit, ehe der Schmerz von zwei Seiten erneut einsetzte, als ob Schraubstöcke langsam angezogen würden. Der Schmerz von der Schulter und ein weiterer vom Hinterkopf.
Ich hob den Kopf und riss die Augen auf. Das rote Leuchten kam von einem elektrischen Wecker. Ich brauchte einige Zeit, um die Ziffern zu lesen. Es war kurz nach fünf Uhr morgens. Im Zimmer war es totenstill, so still, dass man meinte, den Teppich zu hören.
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