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Engel des Todes

Engel des Todes

Titel: Engel des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marshall
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Schon merkwürdig. Teils aus ärztlichem Interesse, hauptsächlich aber aus Neugier nahm Melissa etwas von dem Strauß und ließ es in ihre Handtasche gleiten. Dann verließ sie die Polizeiwache und machte sich auf den Weg zum Krankenhaus, wo vermutlich in der Zwischenzeit nichts von Interesse vorgefallen war.
     
    Gegen Mittag bekam Tom heftige Kopfschmerzen. Schon vorher hatte ihm der Schädel gebrummt, eigentlich den größten Teil der Zeit, die er da draußen verbracht hatte. Aber jetzt war es anders, es wurde wirklich schlimm.
    Tom saß auf dem Stuhl in dem Zimmer mit der verglasten Trennwand. Er hatte den ganzen Vormittag dort verbracht, deshalb war es jetzt seines. In seiner Auszeit war für Tom vieles einfacher geworden. Er dachte nun in elementaren Begriffen. Was ihm gehörte und was nicht, diese Frage machte neun Zehntel seines Denkens aus. Das hier war jetzt sein Stuhl, und wehe dem Mann, der ihn ihm wegnehmen wollte. Allerdings versuchte das auch niemand. Der Beamte namens Phil steckte hin und wieder den Kopf herein, aber sonst hatte man ihn, seit die Ärztin gegangen war, in Ruhe gelassen.
    Der Schmerz sickerte langsam in seinen Kopf und breitete sich stetig aus. Dieser Schmerz ging gleichsam professionell vor. Er legte sich schwer und massiv über ihn wie eine kalte Tagesdecke und richtete Außenposten in anderen Teilen des Körpers ein. Vor allem in seinen Eingeweiden. Dass er gegenüber der Ärztin darauf bestanden hatte, nicht ins Krankenhaus zu gehen, hatte er unter anderem getan, um ihre Reaktion zu testen. Wenn sie ihn angebellt hätte: »Du Schwachkopf, du pfeifst aus dem letzten Loch, wir zerren dich an den Haaren in eine Intensivstation und schließen dich an Apparate mit Leuchtanzeigen an, sonst gehst du über den Jordan«, er hätte sich gefügt, aber sie hatte nichts dergleichen gesagt. Das aber bedeutete, dass er gar nicht so schlimm dran sein konnte. Er fühlte sich ganz in Ordnung, abgesehen von dem Kopfschmerz und von diesem Gefühl im Bauch, das er als einen Nebenschauplatz des Kopfschmerzes ansah. Er hatte irgendwo gelesen, dass der Magen von Nervengewebe umgeben sei, tatsächlich der größten Ansammlung dieser Gewebeart im ganzen Körper (vom Gehirn einmal abgesehen, das verstand sich von selbst). Die Reaktionen des Magens, das Bauchgefühl, blabla. Er verstand, dass dies aus evolutionstheoretischer Sicht sinnvoll war. Die Eingeweide enthielten reichlich neuronales Gewebe, um Botschaften ans Gehirn schicken zu können, etwa der Art: »Iss nicht wieder von diesem verschimmelten Zeug, denk daran, wie schlecht es dir letztes Mal gegangen ist.« So ähnlich hatte er es ja auch gemacht, als er im Wald zu seinem Rucksack zurückgekehrt war. Er hoffte, die Schmerzen im Bauch wären nur ein Zeichen für dessen Leidensgemeinschaft mit dem Kopf. Sollten die Bauchschmerzen dagegen eine eigene Ursache haben, dann wäre es wohl besser gewesen, ins Krankenhaus zu gehen.
    Er hoffte immer noch, das Schmerzmittel, das ihm die Ärztin gegeben hatte, würde jeden Augenblick seine lindernde Wirkung tun. Er sah nur verschwommen. Immer noch hegte er den Plan, aufzustehen, in die Stadt zu gehen und den alten Labersack ausfindig zu machen, der die Bären nicht erwähnt hatte. Leider schien der Plan zurzeit keine Erfolgsaussichten zu haben, da ihn in seiner gegenwärtigen Verfassung auch ein Tattergreis auf die Bretter geschickt hätte.
    In dem Augenblick lächelte Tom plötzlich.
    Selbstverständlich ging es gar nicht um Bären. Jetzt nicht mehr. Vielmehr war der Grund für seine Genesung der, dass er den Leuten etwas Wichtiges mitzuteilen hatte. Das hatte ihn überhaupt am Leben gehalten, nur deshalb hatte er sich durch die Wildnis geschleppt. Bisher hatte er davon nichts preisgegeben, aber wenn der passende Zeitpunkt kam …
    Doch dann verschwand sein Lächeln ebenso plötzlich wieder. Er trug ein Wissen in sich, ein lebenserhaltendes. Aber deswegen veränderte es doch nicht sein Leben, es verdeckte nicht das dunkle Licht, das von seinem vorherigen Leben ausging. Der alte Makel blieb, das Geschehene wurde dadurch nicht ungeschehen gemacht. Auch wenn die Leute nichts davon wussten. Nur hatte er jetzt etwas, das so bedeutend war, dass sich die Mühe lohnte, es nicht ans Licht kommen zu lassen.
    Er schielte müde durch das Glas der Trennwand, während die Polizei von Sheffer (in der Person Phil Banners, dem Tom eine Rolle in seinem vorherigen Leben zugestehen musste) ihren Amtsgeschäften nachging. Phil war

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