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Engel des Todes

Engel des Todes

Titel: Engel des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marshall
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Abend lang im Internet surfen und uns nackte Frauen anschauen, ist unsere elektronische Spur im Verzeichnis des Browsers und im Cache der Festplatte des Computers dokumentiert, ganz zu schweigen von den Websites, die die IP -Adresse jedes Surfers, der bei ihnen einloggt, registrieren und ihn mit Spam bis ans Ende seiner Tage eindecken können. Wenn wir mit einer Kollegin per E-Mail flirten und die verfänglichen Mails später löschen, leben wir weiterhin im Stand der Sünde, bis wir uns entschließen, den Befehl zum Leeren des Papierkorbs zu geben.
    Aber auch die ganz Schlauen, die alle Dateien löschen sowie den Papierkorb leeren, sind deshalb noch lange nicht aus dem Schneider. Auf den Befehl »Löschen« reagiert der Computer damit, dass er den Hinweis auf die Datei löscht, so wie wenn man die Karteikarte, die auf den Standort eines Buches in der Bibliothek verweist, vernichtet. Das Buch selbst ist immer noch da, man kann es suchen gehen und finden. Man stelle sich vor, ein Mann schreibt mit Bleistift auf ein großes Blatt Papier. Verbindet man ihm die Augen, sind die Notizen immer noch auf dem Papier. Er kann zwar nicht mit dem Finger darauf zeigen und sagen, wo jede einzelne Notiz steht, aber das Geschriebene ist noch da. Wenn er weiterhin Notizen macht (wenn der Computerbenutzer neue Dateien speichert), überschreibt er die Urschrift. Seine neuen Notizen, seine neuen Erfahrungen decken Partien der Urschrift zu, so dass eine Rückkehr zum Vergangenen unmöglich wird. Man begreift nicht, ja man erinnert sich nicht einmal an das, was vorher war, an die Voraussetzungen eines Menschenlebens. Teile dieser Dateien bleiben, versteckt und unzugänglich, erhalten. Das sind die frühen Erfahrungen des Computers, die ohne Verbindung zur Außenwelt immer noch Sektoren der Festplatte belegen, wie Erinnerungen, die manchmal durch die Gegenwart geistern. Wir funktionieren genauso.
    Nach einer halben Stunde war der Prüfvorgang beendet. Gefunden hatte die Software nichts, was nur bestätigte, was Ninas Kollege schon festgestellt hatte: Jemand hatte alle Spuren von der Festplatte getilgt, ehe die beiden Dateien auf ihr gespeichert wurden. Im Bild gesprochen: Man hatte dem Schreiber nicht nur die Augen verbunden, man hatte ihn entfernt und dann umgebracht.
    Der Kaffee in der Kanne war unterdessen kalt geworden. Ich versuchte es nun mit einer Mustererkennungs-Software aus Bobbys privatem Arsenal. Sie sollte die Festplatte durchkämmen und feststellen, ob bei der Überschreibung mit neuen Daten irgendwelche Unregelmäßigkeiten entstanden waren. Tiefer konnte man nicht in die binäre Struktur des Datenträgers eindringen, es sei denn, man wollte die Platte im physischen Sinn auseinandernehmen. Die Dämmerwelt der frühen Erfahrungen sträubt sich gegen Erkundungen, das ist mit den Silikonstrukturen des digitalen Geistes nicht anders.
    Eine Dialogbox auf dem Bildschirm informierte mich, dass der Vorgang gut fünf Stunden dauern würde. Da es dabei wenig Aufregendes zu sehen gab, überprüfte ich nur die Stromzufuhr und ging dann spazieren.
     
    Um drei Uhr rief Zandt vom Flughafen an. Ich beschrieb ihm den Weg zum L’Espresso und begab mich ebenfalls dorthin. Vierzig Minuten später fuhr sein Taxi vor. John stieg aus, funkelte den Portier vor dem Hotel an und kam dann die Straße zu mir herauf. Er näherte sich mit sehr regelmäßigen, langsamen Schritten. Ich wusste, was das zu bedeuten hatte.
    Er bestellte bei einem vorübergehenden Kellner ein Bier und nahm mir gegenüber Platz. »Hallo, Ward. Du siehst ja richtig gemütlich aus.«
    »Ich? Und du siehst aus wie ein Tanker mit Schlagseite. Wie geht’s Nina?«
    »Der geht’s prächtig«, sagte er.
    Er wartete auf sein Bier. Der Bart war ab. Er fragte mich nicht, wie es mir ging oder womit ich gerade beschäftigt war. Nach dem wenigen, was ich über ihn wusste, betrieb er genauso wenig Smalltalk, wie er große Töne spuckte oder Süßholz raspelte.
    Er sagte einfach, was er zu sagen hatte, und dann schwieg er oder ging davon. Jetzt war er betrunken. Um das zu erkennen, musste man wie ich einige Zeit mit Trinkern verbracht haben, denn äußere Zeichen gab es kaum. Die Ringe unter den Augen waren dunkler, und er griff, kaum war sein Bier gekommen, sofort nach dem Glas. Aber seine Augen waren klar, und seine Stimme war ruhig und fest.
    »Was hast du über Yakima herausgekriegt?«
    »Wie ich schon sagte, ich bin zurück nach L.A. und habe Nina berichtet, was wir gefunden haben. Sie

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