Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engel des Todes

Engel des Todes

Titel: Engel des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marshall
Vom Netzwerk:
vorsichtig zu sein.
    Ich legte das Telefon beiseite und betrachtete etwas, von dem ich wusste, dass es eine Zeit lang im Gesicht einer toten Frau gesteckt hatte. Fraglich, was beunruhigender war, dieses Wissen oder das Risiko, das Nina auf sich genommen hatte.
    Dann wurde der Kaffee gebracht. Ich trank und rauchte eine Zigarette dazu. Das hatte die übliche Folge, dass die Herausforderungen der Welt eher zu bewältigen schienen. Ich nahm ein Kabel aus meinen Siebensachen, das einen FireWire-Stecker am einen Ende und einen Adapter am anderen besaß. Ich verband Letzteren mit den Steckern der Festplatte und schloss sie dann an Bobbys Laptop an. Das Verzeichnis der Festplatte erschien auf dem Bildschirm.
    Auf der Platte befanden sich, wie mir schon gesagt worden war, zwei Dateien: ein Musikstück im MP 3 -Format und eine Textdatei. Nina hatte mir mitgeteilt, dass das Zitat am Anfang des Textes von dem deutschen Dichter Heinrich Heine stamme. Die Interpretation des
Requiems
von Fauré stammte aus einer Aufnahme vom Anfang der sechziger Jahre, was ebenfalls nichts Besonderes zu bedeuten hatte. Bei klassischer Musik gibt es zeitlose Aufnahmen, die neuesten sind nicht notwendig besser als die älteren. Ich konnte lediglich feststellen, dass die Musik stereophon mit 192  k/sek. digitalisiert worden war, ein aufwendiges Verfahren. Da die meisten Leute den Unterschied zwischen 192 und 160  k/sek. gar nicht wahrnehmen, konnte das entweder bedeuten, dass die Musik zur Wiedergabe auf einer hochwertigen Audioanlage bestimmt war, auf der die Mängel einer niedrigeren Abtastrate hörbar wären, oder – und das war wahrscheinlicher – die Musik bedeutete der Person, die sie auf der Platte gespeichert hatte, besonders viel. So oder so kein spektakulärer Befund. Ich hörte mir das Stück ein paar Mal an, während ich zur nächsten Aufgabe überging, und bemerkte ein leichtes Kanalrauschen sowie ein ziemlich deutliches zweimaliges Klicken. Möglicherweise hatte als Quelle für die MP 3 -Datei eine Vinylplatte vorgelegen. Es war nicht wahrscheinlich, dass jemand, der sich mit Computern auskannte, CD s verachtete. Das wiederum hieß, dass die LP für die Person, die sie besaß, einen besonderen Liebhaberwert hatte. Auch das war nichts Ungewöhnliches.
    Ich startete eine professionelle Prüfsoftware und wartete auf das Ergebnis. Viele Leute meinen, Computer wären einfach nur Maschinen wie Staubsauger oder Videorekorder. Das ist ein Irrtum. Angefangen mit spartanischen Rechnern wie dem Amiga oder dem Apple II haben wir eine andere Beziehung zu Computern. Von Anfang an wusste man, dass diese Kisten ihre eigenen Rechte besaßen. Wenn die Waschmaschine ihren Dienst versagt oder der Fernseher den Geist aufgibt, lässt man die Geräte reparieren oder wirft sie auf den Müll. Das sind Beispiele für die alte, durchschaubare Technik. Kein Zauber umgibt sie mehr. Wenn aber ein Computer spinnt, dann weiß man nie genau, wessen Schuld das nun ist. Irgendwie ist man mitschuldig. Man fühlt sich verletzbar. Das ist wie der Unterschied zwischen einem Bleistift und einem Auto. Ein Bleistift ist ein einfaches Werkzeug ohne Überraschungen. Es funktioniert nur auf eine Weise (angespitzt, kann man damit schreiben) und hat vorhersehbare Defekte (zu kurz, zu stumpf, keine Mine mehr). Bei einem Auto, vor allem bei den alten Rostlauben, die viele von uns als ersten fahrbaren Untersatz hatten, ist das schon anders. Hier ist Einfühlung und gutes Zureden nötig, vor allem an kalten Wintermorgen. Dieses Geräusch, das ohne Folgen bleibt, aber auch nie verschwindet, dieses plötzliche Absaufen des Motors, das man mit den Mondphasen in Verbindung bringt. Nichts davon deutet auf einen echten Schaden, der Wagen will nur freundliche Aufmerksamkeit. Allmählich entwickelt man ein rituelles Verhältnis zu dieser Blechkiste, auf die wegen ihrer Unberechenbarkeit Rücksicht genommen werden muss. Und genauso lernt man ja auch Menschen kennen: nicht durch das, was sie mit allen anderen Menschen gemein haben, sondern durch ihre Eigentümlichkeiten, ihre Ecken und Kanten und die Nachgiebigkeit, die man an Stellen entdeckt, wo man sie nie vermutet hätte, kurz, durch die Dinge, die sie von allen anderen unterscheiden.
    Ein Computer liegt dazwischen: ähnlich wie ein Auto, aber tausendmal komplexer. Der Computer ist ein Backup unserer Seele, eine vielschichtige, menügesteuerte Darstellung unserer Persönlichkeit mit allen unseren Vorlieben und Sünden. Wenn wir einen

Weitere Kostenlose Bücher