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Engel des Todes

Engel des Todes

Titel: Engel des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marshall
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angekommenen Siedler tot aufgefunden wurde, entschied der Anführer, den anderen Indianerstamm, die als böse Buben geltenden Powhatans, anzugreifen. Leider vergriffen sich seine Männer an den Falschen und töteten einige Croatoans, wohl nach der altbekannten Ausrede: Die sehen alle gleich aus.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Das fing ja gut an.«
    »Daraufhin änderten die Croatoans ihre Haltung, mit der guten Nachbarschaft war es nun vorbei. Sie weigerten sich, die Engländer mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die Siedler waren im Sommer angekommen, zu spät, um noch Getreide zu pflanzen, und die Vorräte, die sie mitgebracht hatten, verdarben.«
    »Die waren ziemlich blauäugig, diese ersten Siedler.«
    »Blauäugig oder tapfer. Oder beides. Wie auch immer. White entschloss sich, nach England zurückzusegeln und Nahrungsmittel zu holen. Er hatte keine andere Wahl. Mit den Siedlern wurde verabredet, dass sie für den Fall, dass ein Vorstoß ins Landesinnere nicht zu vermeiden war, Wegmarkierungen anbringen sollten. Sollten sie angegriffen und zur Flucht gezwungen werden, würden sie ein Kreuz an einer gut sichtbaren Stelle anbringen. So weit, so gut. Doch als White wieder in England ankam, befand sich das Land im Krieg mit Spanien. Er musste drei ganze Jahre warten, ehe er nach Roanoke zurückkehren konnte.«
    Ich dachte einen Augenblick über diese Situation nach. Allein gelassen in einem fremden Land, feindselige Nachbarn, ausgehende Nahrungsvorräte. Der Anführer kehrt angeblich für eine Stippvisite heim und lässt sich dann über drei Jahre nicht blicken – beinahe der Zeitraum zwischen zwei Olympischen Spielen. »Und als er wieder aufkreuzte?«
    »Weg. Keine Menschenseele. Kein Hinweis auf Überlebende, keine Leichen. Das persönliche Hab und Gut zurückgelassen. Und kein Kreuz weit und breit zu sehen. Nur das Wort Croatoan war in einen Türpfosten geschnitzt.«
    »Hm«, machte ich. »Das ist schon unheimlich. Was geschah dann?«
    Er zuckte die Achseln. »Darüber gibt es nur Spekulationen. White wollte wissen, was mit den Siedlern, die er zurückgelassen hatte, geschehen war, aber den Kapitän und die Mannschaft kümmerte das nicht, deshalb musste er die Rückreise nach England antreten. Er versuchte dann Ende der neunziger Jahre des 16 . Jahrhunderts eine weitere Expedition zu starten, aber Raleigh und seine Geldgeber hatten nun kein Interesse mehr. Seither haben viele Leute versucht, das Geheimnis zu lüften, angefangen mit einem Mann namens John Smith, der zwanzig Jahre später in der Siedlung Jamestown lebte.«
    »Und?«
    »Smith sprach mit den Indianern und fand mehrere Erklärungen, die bis heute im Umlauf sind. Danach soll das Wort Croatoan nicht nur der Name eines Stammes sein, sondern auch ein großes, nicht genauer eingegrenztes Gebiet bezeichnen. Die Inschrift am Türpfosten könnte also auf ein Ziel hinweisen, wie es mit White verabredet worden war. Eine andere Möglichkeit wäre, dass die Croatoans sich anders besonnen und den bedürftigen Siedlern geholfen haben. Oder, wenn man davon ausgeht, dass der genannte Indianerstamm einen Angriff unternommen hat, dann könnte man daraus schließen, dass die Siedler zur Flucht ins Landesinnere gezwungen waren. Alle genannten Hypothesen führen zu der Annahme, dass einige oder alle Siedler (nach manchen Theorien seien nur die Männer umgebracht worden, während man Frauen und Kinder verschont habe) sich mit der einheimischen Bevölkerung vermischt haben und in ihr aufgegangen sind. Tatsächlich gibt es mehrere Indianerstämme, allen voran die Lumbee, die seit langer Zeit schon solches behaupten und dafür auch gute Gründe angeben. Diese Theorie wird seit der Mitte des 19 . Jahrhunderts ernst genommen, die Spekulationen gedeihen aber schon seit Jamestown. Überliefert sind Geschichten von einem Priester, der in der Mitte des 17 . Jahrhunderts in der besagten Gegend auf freundschaftlich gesinnte Indianer traf, die Englisch sprachen, und Gerüchte über einen deutschen Entdecker, dessen Namen ich nicht herausfinden konnte, der behauptete, Begegnungen mit ›einer mächtigen Völkerschaft von bärtigen Männern‹ gehabt zu haben – also vermutlich den Nachkommen jener Siedler.«
    Anfangs hatte die Inschrift in der Tür des Blockhauses keinen großen Eindruck auf mich gemacht, aber nach Johns Nachforschungen grauste es mich plötzlich, und ich sah mich wieder in Gesellschaft der Toten.
    Zandt machte dem Kellner ein Zeichen. Der Kellner wollte ihn

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