Engel des Todes
irrte.«
»Nein, Al, das meine ich nicht, und zwar aus drei Gründen.« Sie stellte die Kaffeetasse ab und zählte unter Zuhilfenahme ihrer Finger die drei Gründe auf. »Erstens wäre es ein unglaublicher Zufall, dass zwei bekannte Heilpflanzen in seinem Rucksack landen, obendrein noch gerade solche, die genau zur psychischen Verfassung des Mannes passen. Zweitens, wenn man sich das Ende der Stengel des Bundes genauer anschaut, erkennt man, dass einer der Stengel benutzt worden ist, um alle anderen zusammenzubinden.«
»Da wäre ich nicht so sicher«, sagte Connelly. »Es könnte auch so aussehen, weil die Pflanzen so lange in seinem Rucksack gelegen haben.«
»Meinetwegen«, sagte Melissa, »lassen wir das dahingestellt sein. Aber hier kommt der dritte Grund.
Scutellaria laterifolia
ist eine mehrjährige Pflanze. Sie stirbt im Winter ab.«
Connelly sagte dazu gar nichts.
»Al, der Mann hätte von hier bis Vancouver laufen können, ohne dass auch nur eine Faser dieses Krauts in seinem Rucksack gelandet wäre. Mit anderen Worten, jemand muss es absichtlich dort hineingelegt haben.«
Connelly schaute sie lange an, dann beugte er sich vor und griff nach der Kaffeekanne. Er hob sie einladend hoch, doch Melissa schüttelte verneinend den Kopf. Er schenkte sich in Ruhe noch einmal Kaffee nach und wünschte im Stillen, etwas früher nach Hause gegangen zu sein.
»Ich sehe nicht, wohin uns das führt«, sagte er schließlich. »Der Mann könnte doch gut kürzlich bei einem Kräuterdoktor gewesen sein. Was bringt uns das?«
»Vielleicht bringt es uns gar nichts«, bemerkte Melissa. »Aber mir leuchtet nicht ein, dass er sich diese getrockneten Heilkräuter besorgt und sie dann auf eine Wanderung mitnimmt, an deren Ende er sich offensichtlich umbringen wollte. Oder können Sie sich einen Reim darauf machen?«
»Nein, eigentlich nicht«, gab Connelly zu. Er hätte einwenden können, dass die Kräuter von früheren Wanderungen stammten, hätte er nicht schon bemerkt, dass ebensolche Rucksäcke, wie Kozelek einen besaß, hier in Sheffer zu kaufen waren. »Wohin führt uns das also, Mrs. Hoffmann?«
Melissa lachte auf ihre attraktive Art. »Nirgendwohin. Ich dachte nur, ich müsste es Ihnen mitteilen. Wir sind heute Abend bei den Wilsons zum Essen eingeladen, da lag die Polizeiwache auf unserem Weg. Ich habe Jeff drüben in Frank’s Bar gelassen, und wenn ich die Wilsons nicht als Freunde und Schlemmer verlieren will, dann sollte ich ihn da herausholen, ehe er noch ein Bier trinkt.«
Connelly brachte sie bis vor die Tür. Gegenüber verströmte Frank’s Bar warmes Licht, ein Neonschriftzug lief über die ganze Frontseite. Connelly schaute Melissa nach, wie sie in einer langen Diagonalen die nasse Straße überquerte, sorgfältig darauf bedacht, ihre Ausgehschuhe nicht zu beschmutzen. Sie war eine gute Ärztin, und er nahm keinen Anstoß daran, dass sie sich hin und wieder mit Liz Jenkins zu zweifelhaften Feierabendvergnügungen traf. Auch Al hatte in seiner Jugend solche Dummheiten begangen. Sie würde vermutlich die Sache mit den Heilkräutern weitererzählen. Dabei würde nichts herauskommen.
Doch er ging wieder zurück in sein Büro, setzte sich an den Schreibtisch und dachte nach.
Tom und der Journalist waren gerade bei ihrem zweiten Bier, als Frau Dr. Hoffmann in Franks Bar trat, um einen Mann abzuholen, der vermutlich ihr Angetrauter war. Dieser hatte ihnen gegenübergesessen und sich angeregt mit dem Barkeeper unterhalten. Sie brachte ihn mit ruhigen, aber entschiedenen Worten dazu, seinen Drink auf der Theke stehen zu lassen und sich mit ihr nach draußen zu begeben. Tom drehte sich um und sah ihnen nach, wie sie über den Parkplatz gingen. Die Frau lachte laut über etwas, was ihr Mann gesagt hatte. Auch Tom hatte zuzeiten verstanden, Frauen zum Lachen zu bringen. Wie gern hätte er diesen Klang wieder einmal gehört.
»Kennen Sie die Frau?«, fragte der Journalist.
Tom schüttelte verneinend den Kopf. »Sie ist Ärztin hier im Ort. Die Polizei hat sie hinzugezogen, um mich zu untersuchen.«
»Sieht süß aus.«
»Finde ich auch«, pflichtete Tom bei. »Aber in festen Händen.«
»Das sind heutzutage alle, Tom. Sie eingeschlossen, wenn ich den Ring an Ihrer Hand richtig deute. Sollte ich darüber mehr wissen? Zum Beispiel, wie es kommt, dass Sie ganz allein hier oben sind?«
»Zu Hause gab es Probleme«, antwortete Tom. »Ich bin in die Berge gefahren, um wieder klar zu sehen.«
»Schön. Das
Weitere Kostenlose Bücher