Engel des Todes
verbrachten sie mit der Suche nach einem geeigneten Platz. Schließlich entschieden sie sich für die Gegend nördlich von Sheffer auf der Ostseite der Cascade Mountains. Von Portland aus war Sheffer nach ein paar Stunden Autofahrt den Highway 5 hinauf und dann über den Highway 90 gut zu erreichen; eine kleine Stadt, hübsch, ohne herausgeputzt zu sein, und die Preise für unbebautes Land waren hier noch nicht verdorben. Baugesellschaften hatten außerhalb der Ortschaft schon Parzellen abgesteckt, doch bisher hatten sich keine Interessenten gefunden, so dass manche Verkaufsschilder schon verblichen aussahen. Sie kauften ein sechzehn Hektar großes Terrain am Ende der Zufahrtsstraße, zu dem neben einem großen Baumbestand auch ein kleiner See gehörte. Gleich hinter dem Grundstückszaun begann staatlicher Forst, und daran würde sich für alle Zeiten nichts ändern. Die Blockhütte Nummer zwei hatte eine feste Bleibe gefunden.
Das Grundstück war bereits erschlossen, alles Übrige brauchte nicht viel Zeit. Sie ließen die Blockhütten verladen und folgten ihnen im eigenen Wagen den ganzen Weg von der Küste. Am Ziel angekommen, musste eine der drei Hütten noch einmal neu zusammengesetzt werden, was Kosten verursachte, mit denen sie nicht gerechnet hatten. Doch als die Häuschen dann an ihren neuen Plätzen standen, konnte Patrice die Tränen nicht verbergen. Sie schaute sich nicht nach Bill um, weil sie wusste, dass er nicht mochte, wenn sie ihn ebenfalls weinen sah.
Blockhütte Nummer zwei stand in der Nähe des Sees, das »Büro« in einigem Abstand davon und die Gästehütte auf der anderen Seite. Nach einer Woche auf dem neuen Grundstück wussten Bill und Patrice, dass sie von nun an hier wohnen wollten. Sie verkauften das Haus in Portland, trennten sich von den meisten Sachen und machten sich an die Arbeit. Er möbelte das Büro und die Gästehütte auf und entwickelte dabei Fähigkeiten, die er nie in sich vermutet hätte. Sie gärtnerte ein bisschen zwischen den Hütten, ehe der erste Schnee fiel, dann saß sie mit Pflanzen- und Saatkatalogen am Kamin und machte Pläne für das Frühjahr. Weihnachten verbrachten sie in Sheffer, schauten sich in der Stadt um und erkundeten, was es am Ort gab und was fehlte. Am ersten Weihnachtstag kamen beide Kinder zu Besuch, eine schöne Überraschung.
Am 1 . Januar führte Bill sie aus der Hütte hinaus zum See, wo er heimlich um den mächtigsten Baum eine Bank aus grob zugehauenen Hölzern gezimmert hatte. Sie setzten sich bibbernd vor Kälte auf die Bank und tranken Glühwein aus einer großen Thermoskanne. Während ihr allmählich in seinen Armen warm wurde, fühlte sie sich so glücklich wie selten in ihrem Leben.
Im März stellte sich heraus, dass Bill Lungenkrebs hatte. Als er vier Monate später starb, hätte ihn Patrice mit einer Hand hochheben können.
14
A ufgenommen in der Vergangenheit, sieht man nun auf dem Bildschirm eine junge Frau auf einer Couch sitzen und weinen. Die Couch ist durchgesessen und hat einen rostroten Bezug aus Wildlederimitation. Obwohl das Möbel einen gepflegten Eindruck macht, sieht man ihm doch das Alter an. An der Wand hinter der Couch hängt ein Spiegel, daneben ein großformatiges Bild – gemalte Tulpen – in einem gar nicht so schlechten Stil. Die Frau hat eine gute Figur und ist sonnengebräunt, abgesehen von hellen Dreiecken auf den Brüsten. Sie trägt enge weiße Hosen, sonst ist sie nackt. In der rechten Hand hält sie eine Zigarette, mit der linken fährt sie sich in ihr langes braunes Haar. Ihr Gesicht ist tränennass und zerknittert, die Augen sind offen, aber ohne Blick. Vor ihr steht ein Kaffeetisch mit einem großen, gläsernen Aschenbecher, zwei Fernbedienungen und einer halbleeren Kaffeetasse. Es ist Sonntag früh, und sie sieht ziemlich verkatert aus.
Sie raucht die Zigarette zu Ende und drückt sie aus. Man sieht das alles in ruckelnden Bildern, denn obwohl der Zuschauer seit drei Monaten Abonnent dieser Website ist, bewirkt eine besondere Software mit dem fröhlichen Namen CamFun – die für 12 , 95 Dollar erhältlich ist –, dass die Einstellung nur alle zwei Minuten erneuert wird. Die meisten Leute besuchen die Website nur mit Hilfe eines Browsers wie dem Microsoft Explorer. Der Abonnent benutzt hingegen CamFun, weil er damit die Bilder leichter als Videodatei auf der Festplatte speichern und jederzeit wieder betrachten kann – so wie er auch jetzt etwas ansieht, was schon einige Wochen her ist.
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