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Engel des Todes

Engel des Todes

Titel: Engel des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marshall
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ganzes weiteres Leben.
    Die Lodgettes gehörten einer langsam vergehenden Epoche an. Ein Urlaubsort der alten Art, der am Ende einer langen Autofahrt lag und zu dem man nach einem mit Schwimmen, Plantschen und Kindergeschrei verbrachten Nachmittag am Meer gern wieder zurückkehrte. Der Mutter gefiel es, weil die Lage so schön war und es eine Extrahütte zum Wäschewaschen gab, der Vater freute sich, dass das Urlaubsbudget reichte. Die Kinder, die diese Dinge irgendwie mitbekamen, genossen die Nestwärme in einer rundum zufriedenen Familie. Vierzehn Blockhütten standen verstreut auf mehreren Morgen bewaldetem Terrain, mit der Felsenküste auf der einen Seite und dem Meeresarm auf der anderen. Beim ersten Besuch machte sich Bill eine Zeichnung des Grundrisses ihrer kleinen Blockhütte (der Nummer zwei), so begeistert war er von der Aufteilung: Der Architekt hatte jeden Quadratzentimeter der urigen Holzkonstruktion genutzt, um Wohnbereich, Küchenecke, Schlafzimmer, Badezimmer und Vorratsraum auf sechsunddreißig Quadratmetern Grundfläche unterzubringen. Ein Holzofen im Wohnzimmer sorgte an kühlen Frühlingsabenden für Behaglichkeit, und das Schlafzimmer war auch in kalten Winternächten gemütlich. Auf der rundum laufenden Veranda konnte man im Sommer und im Herbst mit einem Buch auf dem Schoß dasitzen und dem Gezwitscher der Vögel und dem fernen Rauschen des Meeres zuhören oder sich Gedanken über das Abendessen machen.
    Am Abend gingen sie über die Brücke in die kleine Ortschaft. Dort gab es, auf Pfählen in der Bucht, eine Bar mit Poolbillard und lauter Musik, die ihnen bekannt vorkam, und weiter oben auf der Anhöhe ein Restaurant, das sich mit denen in Portland messen konnte. Sie probierten den heimischen Wein und das hier gebraute Bier und fühlten sich wie verzaubert. So etwas hatten sie schon lange nicht mehr erlebt. In ihrem Alter lässt man sich nicht mehr so leicht verzaubern. Aber Verona gelang dieses Kunststück, und zwar immer wieder. Bill und Patrice atmeten hier langsamer als anderswo, sie gingen Hand in Hand den Strand entlang, lächelten anderen Spaziergängern zu, schauten aufs Meer hinaus und ahnten die Rundung der Erdkugel. An drei Abenden hintereinander wählten sie die gleiche Vorspeise. Das alte Ehepaar, das die Lodgettes verwaltete, Mr. und Mrs. Willard, nannte sie schon am zweiten Tag beim Vornamen. Als der Tag der Abreise kam, ließ sich Patrice nur widerwillig dazu bewegen und rang ihrem Mann das Versprechen ab, so bald wie möglich wiederzukommen.
    Ihr Entschluss stand fest. Wenn sie Abstand von der Welt brauchten, dann würden sie künftig immer hierher kommen.
     
    Zehn Jahre vergingen, in denen sie zwanzig oder gar fünfundzwanzig Mal in die Lodgettes kamen. Die Willards gingen in Ruhestand, doch das änderte nicht viel. Patrice und Bill kamen wie Zugvögel zweimal im Jahr wieder. Einmal hätten sie um ein Haar ihre Kinder mitgebracht, doch der Vorschlag fiel durch. Das verwunderte aber niemanden. Im Gespräch über Josh und Nicole bezeichnete Bill einmal ihr Verhältnis als »herzlich«, und das traf es ziemlich genau. Sie waren einander herzlich zugetan, das stand außer Zweifel, aber eine überbordende Zärtlichkeit war es auch nicht. Man telefonierte regelmäßig miteinander, und die gegenseitigen Besuche verliefen in entspannter Atmosphäre. Man kam an den wichtigsten Feiertagen im Jahr zusammen, tauschte passende Geschenke aus, und jeder half in der Küche mit. Ihre Kinder waren beruflich stark gefordert. Wenn ihnen also die Karriere wichtiger war als der Urlaub mit den Eltern, dann ging das in Ordnung. Patrice und Bill fuhren in jedem Fall nach Verona. Die Hütte für sich selbst zu haben war auch schön, so brauchte man sich keine Gedanken darüber zu machen, ob andere den Ort genauso bezaubernd fanden. Den Vorschlag eines gemeinsamen Urlaubs machten sie nicht noch einmal.
    Dann – es war Ende August – fuhren sie wieder für ein Wochenende nach Verona und kamen dabei mit den neuen Besitzern ins Gespräch. Anders als mit den Willards hatten sie mit ihnen eigentlich kein vertrautes Verhältnis, es schien, als ob Ralph und Becca sie nach jedem Besuch vergaßen. So musste ein freundschaftlicher Umgang jedes Mal neu hergestellt werden. Diesmal aber spürten sie, dass irgendetwas im Gange war, etwas Endgültiges. Sie fragten, und Ralph bestätigte ohne viel Bedauern, dass die Lodgettes ihrer letzten Saison entgegengingen.
    Die Worte versetzten Patrice einen Stich ins

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