Engel des Todes
Tatnacht in der Wohnung gewesen.«
»Warum hat er dann nicht dort auf sie gewartet und sie in ihrer Wohnung umgebracht?«
»Weil das ihr Terrain war und nicht seines. Du weißt doch, wie Mörder denken. Sie wollen, dass alles so geschieht, wie sie es sich ausmalen.«
»Hilft uns das weiter?«
»Er hat herausgefunden, wo sie wohnte. Wie? Das heißt doch, dass er mindestens einmal in der Nähe ihrer Wohnung gesehen worden sein könnte. Das heißt auch, dass er sich Zugang zur Wohnung verschafft haben muss. Wieder lautet die Frage: Wie?«
»Die Polizei hat schon die ganze Nachbarschaft abgeklappert. Keiner hat irgendetwas gesehen.«
»Aber wie hat er herausgekriegt, wo sie wohnt?«
»Ward, du hast gute Augen, aber du bist kein Polizist. Er ist ihr wahrscheinlich schlicht auf ihrem Nachhauseweg gefolgt. Selbst wenn du recht hättest, würde uns das leider kein bisschen weiterhelfen. Vielleicht hat er den Schlafanzug gestohlen und vielleicht auch ein Bild. Toll. Wir können es auf dem Steckbrief gleich unter das Phantombild setzen.«
Ich blickte sie gereizt an, aber sie sah nur müde aus, und deshalb verbiss ich mir, was ich sagen wollte. »Komisch, dass du und John nicht miteinander konntet. Wo ihr doch beide so vernünftig und aufgeschlossen seid.«
Sie lächelte. »Also gut. Ich nehme es zu den Akten.«
»Danke für die Hochschätzung«, sagte ich. »Das hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht auszumalen gewagt. So, und nun schlage ich vor, wir holen uns deine Lebensmittelvorräte aus dem Supermarkt zurück.«
»Lass nur. Gehen wir lieber irgendwohin, wo auch gleich gekocht wird.«
Wir fuhren hinüber nach Santa Monica und fanden schließlich einen Tisch in einem italienischen Restaurant an der Promenade. Wir aßen nur rasch etwas und wechselten dann zur Bar hinüber, wo wir länger blieben. Nina sah gut aus mit einem Glas Wein in der Hand. Es sah aus, als wäre es für sie gemacht. Ich berichtete, was ich in letzter Zeit getrieben hatte. Der Wein machte mich gesprächig, und so erzählte ich ihr schließlich, wie sehr mir Bobby und meine Eltern fehlten. Sie nickte verständnisvoll und versuchte es gar nicht mit tröstenden Worten. Mir fiel auf, dass ich wenig von ihr wusste, gerade mal, dass sie in Colorado aufgewachsen und in L.A. zur Schule gegangen war. Sie erzählte mir von einer alten Freundin, die sie neulich angerufen hatte und mit der sie sich treffen sollte. Wir waren beide der Meinung, dass die Vergangenheit ein anderes Land war, das sich infolge der Plattenverschiebung der Zeit mit jedem Jahr weiter entfernt. Im Lauf des Abends wurde die Bar immer voller. Während ich für eine Zigarette nach draußen ging, hielt Nina mit strengem Blick andere Leute davon ab, meinen Platz einzunehmen. Bei Nina genügt ein Blick.
Je mehr ich trank, desto lauter und lästiger kamen mir die Leute neben uns vor. Geredet wurde über die Kinobranche (selbstverständlich), Geld, Gesundheit, Körpergewicht und Mode. Je nichtiger das Thema, desto lautstärker wurde darüber diskutiert, ein endloses Gebet an die Götter des Schicksals. Ich erging mich in Schimpftiraden, während Nina immer stiller wurde. Beim Thema Mode packt mich der Zorn, immer schon. In diesem Sommer tragen wir alle Vermeil, klar? Wer sagt das? Wie kommt es, dass wir beim Anblick eines Bikinis aus grellbunten Plastikplättchen so tun, als ob das jede Frau tragen wird? Weil, so bellte ich zu Nina hinüber, der Kapitalismus uns dazu anhält. So lässt unsere Kultur den Schwanz raushängen. »Ihr da, ihr Schattenexistenzen in der nicht-englischsprachigen Chaoswelt, seht euch unsere Überproduktion an. Wenn wir schon so viel Zeit und Mühe für solche Sperenzchen vergeuden, was glaubt ihr wohl, wie viel Gold und Korn und Waffen wir in unseren Vorratskammern haben, wie gut genährt und glücklich unsere Bürger sind. Bloß sind sie nicht glücklich, und einige sind auch gar nicht gut genährt – aber das interessiert niemanden, was hinter den Plakatwänden geschieht, denn das Leben all derer, auf die es ankommt, wird immer besser. Das ganze Land verwandelt sich in eine gepolsterte Gummizelle, wo Masters of Business Administration und Hausfrauen aus Büchern erfahren wollen, wie sie sich mehr lieben könnten, als ob das auch nur annähernd möglich wäre. Aus verrauchten, gemütlichen Cafés wurden Orte, wo gestylte Leute an ihren IB ooks Romane schreiben, die ihre Sensibilität beweisen sollen. Statt düsterer, miefiger Spelunken gibt es
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