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Engel des Vergessens - Roman

Engel des Vergessens - Roman

Titel: Engel des Vergessens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wallstein Verlag
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Tür stapeln sich frische Wachsblätter.
    Vater ist fröhlich, wenn ich mit ihm das Bienenhaus betrete. Er arbeite nicht gern allein, sagt er und drückt mir das Rauchgerät in die Hand. Mit einem behutsamen Handgriff öffnet er den ersten Bienenstock und ich presse die Rauchstöße in das Innere des Kastens. Flugs laufe ich ins Freie. Vater zieht die Waben einzeln aus dem Stock, streift mit einer Adlerfeder die am Rahmen hängenden Bienen ab und tritt mit jeder Wabe vor das Bienenhaus, um sie zu kontrollieren. Ich warte in angemessener Entfernung, bis Vater mit einer Wabe, auf der sich die Bienen drängen, ins Freie kommt und mich mit einer Kopfbewegung herbeiwinkt, damit ich einen Blick auf das Gewimmel werfen kann. Wer zuerst die Bienenkönigin entdeckt, darf jubeln. Mit langgestrecktem Hals beuge ich mich über das Volk und rufe matica, matica , sobald ich die Königin gefunden habe. Vater seufzt und sucht mit der Spitze der Adlerfeder nach Königinnenzellen. Manchmal fegt er ein winterschwaches Volk, wie er sagt, vor dem Flugloch eines anderen Bienenstocks ab und hofft, dass die geschwächten Bienen vom Nachbarvolk aufgenommen werden. Er rät mir, ruhig zu bleiben und keine schnellen Bewegungen zu machen. Er sagt, er habe den richtigen Tag gewählt, die Bienen seien ausgeflogen, ich solle mir keine Sorgen machen, an so einem Tag werde man nicht gestochen. Ich traue seiner Zuversicht nicht ganz, weil ich ihn öfters mit Schwellungen gesehen habe, die von Bienenstichen stammten. Mit Vorliebe bläst er den Bienen seinen Zigarettenrauch auf den Rücken, das mögen sie besonders, sagt er, sein Tabak lähme die grimmigsten Tiere. Er lächelt, wenn er sieht, wie ich meinen Kopf einziehe aus Angst, von einer wütenden Arbeiterin angegriffen zu werden.
    Gewöhnlich kommt Großmutter ins Bienenhaus, um sich nach dem Zustand der Bienen zu erkundigen. Sie nimmt ein braunes, vergilbtes Heftchen aus einer Lade des Kleiderschranks und beginnt die Anzahl der diesjährigen Völker und der Königinnen in das Heftchen zu notieren. Auf der Umschlagseite des Heftchens prangt der deutsche Reichsadler. Arbeitsbuch steht darunter geschrieben, Name und Sitz des Betriebes, Staatsangehörigkeit: Deutsches Reich. Das Heftchen habe dem Großvater gehört, sagt Großmutter, er habe es jedoch nie benutzt. Er habe den Hof am 1. Februar 1927 übernommen und am 27. Februar 1927 geheiratet, stehe im Büchlein, alles Weitere habe sie auf der Innenseite der Schranktür notiert, sagt Großmutter, wo die Hochzeitstage und Todestage der Familienmitglieder mit einem Bleistift vermerkt sind.
    Großmutter könne nichts wegwerfen, sagt Vater, sie verwende sogar die Hitlersachen so lange, bis sie kaputt seien. Ach was, erwidert Großmutter, den Wintermantel, den sie in diesem Schrank aufbewahre, habe sie zum Beispiel nur einmal getragen und würde ihn nie wieder anziehen. Sie öffnet die Schranktür und zeigt auf einen dunklen, graugrünen Wollmantel, der zusammengelegt auf dem Boden liegt. Den habe sie sich in Ravensbrück organisiert und ihn von da an nicht aus den Augen gelassen, sagt sie. Bei der Räumung des Lagers habe sie den Mantel getragen. Es sei ihr schönster Wintermantel geblieben. Ja, ja, sagt Vater und wendet sich wieder den Bienen zu. Ich werfe einen neugierigen Blick auf den Mantel, bevor Großmutter die Schranktür wieder schließt und aus der Kammer mit der Schleuder ein Glas Honig holt. Ich wundere mich, dass sie das Wort organisiert verwendet hat, das ich noch nie aus ihrem Mund gehört habe. Das hat wohl mit der geheimnisvollen Tätigkeit zu tun, die sie damals am Leben gehalten hat, denke ich.
    Sobald der Sommer fühlbar wird und die Wiesen wegen des hohen Grases nicht mehr betreten werden können, ziehen die Bienen nach kurzen Regenschauern wieder die Aufmerksamkeit auf sich. An solchen Tagen kann man das Dröhnen eines Bienenschwarms hören, der in der Nähe des Hauses einen ausladenden Ast anfliegt oder weitab vom Hof auf einem Baum hängen bleibt wie eine wimmelnde Traube. Aus allen Ecken des Hofes wird nach Vater gerufen, er solle die Ausreißerinnen mit der alten Königin zurückholen.
    Vater eilt mit einem Holzkasten und einer Holzleiter gerüstet zu den verdächtig summenden Bäumen. Er hat diesmal einen weißen Hut mit einem Schleier über den Kopf gestülpt, und seine Bitten, ihm bei der Heimholung des Schwarms zu helfen, bleiben meistens ungehört.
    Einmal wird Mutter, die sich bei der Befestigung der Holzzarge unter den

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