Engel des Vergessens - Roman
die man nachträglich noch verschwinden ließ, und stelle mich schlafend. Der Zigarettengeruch reizt meine Nase. Ein Zöllner fragt, was die Herrschaften zu verzollen hätten, und Florian antwortet, jeder habe eine Flasche Wein und ein paar Zigarettenschachteln gekauft, was eben erlaubt sei.
Und das Mädchen, fragt der Zöllner.
Ich drücke meine Augen noch stärker zu und möchte ein wenig blinzeln, um zu sehen, was vorgeht.
Es zählt noch nicht, sagt einer der Männer, es ist noch zu jung.
Da haben Sie recht, antwortet der Zöllner und lässt uns weiterfahren.
Als wir am Zubringerweg unter unserem Haus aus dem Auto steigen, sagt Großmutter, sie werde sich das nächste Mal genauer erkundigen, welche Männer nach Brezje fahren. Es gebe welche, mit denen könne man nicht pilgern.
Vor dem Zubettgehen lege ich mein muffiges Dirndl über die Stuhllehne. Ich bin erschöpft und habe das Gefühl, mein Körper sei um ein paar Zentimeter gewachsen. Nur Wildwuchs, nichts Brauchbares, könnte mir durch den Kopf gegangen sein, aber da war ich schon eingeschlafen.
* * *
Die Zigaretten, die wir Vater mitgebracht haben, können ihn nicht erheitern. Er bedankt sich für die Schmuggelware und schickt mich eine Zeitlang nicht mehr ins Gasthaus, um zwei Schachteln Austria 3 zu holen, starke, filterlose Zigaretten in einer hellgrünen Verpackung. Er hat andere Sorgen.
Während der Heumahd weigert sich sein Pferd von einem Tag auf den anderen, den Leiterwagen zu ziehen. Vater schlägt mit dem Riemen auf das Tier ein. Unter seinen Schlägen bäumt sich der Hengst auf, reißt Deichsel und Strang mit und wirft den Heuwagen um. In Panik schleift das Tier den splitternden Wagen zum Stall, wo es schnaubend und mit Schaum vor den Nüstern stehen bleibt. Der Schock zieht sich in immer wiederkehrenden Zitterwellen über sein Fell. Vater brüllt und reißt an den Zügeln. Ich flehe ihn an, mit den Wutschreien aufzuhören, aber er ist wie das Pferd außer sich.
Großmutter zieht mich zu sich in die Küche. Sie erklärt mir, dass das Pferd durch die jahrelange schwere Arbeit unberechenbar und am Ende seiner Kräfte sei. Mit den gefährlichen Holzfuhren für den Grafen habe sich Vater in vielen Wintern das Geld verdient, das er für den Hausbau benötigen werde, aber das Pferd sei daran zugrunde gegangen.
Er will ein Haus bauen, frage ich erstaunt.
Ja, sagt Großmutter, aber sie werde es zu verhindern wissen, dass er das alte Haus abreißt.
Vater beschließt, den Hengst zu verkaufen. Eines Tages bleibt der Pferdestand im Stall leer. Er riecht noch Monate nach Pferdeschweiß. Erst nach und nach trocknen die Ausdünstungen des Hengstes und machen Platz für den Geruch der Jungstiere, die ihre Häupter mürrisch bewegen, als wollten sie die Ketten abschütteln, die ihnen um den Hals gelegt worden sind.
An einem Sonntagvormittag stürzt Mutter weinend in die Küche. Sie bittet Großmutter mit ihr zu kommen, sie wisse nicht mehr, wie sie Vater helfen könne. Großmutter scheint zu ahnen, worum es geht, und befiehlt mir, eine Weidenrute vom Dachboden zu holen. Sie kratzt mit dem Schürhaken die Glut aus dem Herd in eine gusseiserne Pfanne, zerbricht die Weidenrute, die ich ihr reiche, in kleine Stücke und legt sie zusammen mit ein paar Kräutern auf die Glut. Sofort beginnt es zu rauchen. Mutter ist schon auf den Balkon des Auszugshäuschens gerannt und zeigt auf das Bienenhaus, in dem sich Vater aufhält. Großmutter hastet mit der rauchenden Pfanne an uns vorbei. Ich höre Vater im Bienenhaus singen; Vigred se povrne , ein trauriges Lied über den Frühling, der jedes Jahr wiederkehrt und alles zum Leben erweckt, nur für ihn werde es keinen Frühling mehr geben, singt er, weil er sterben werde. Ich frage Mutter, was mit Vater los sei, doch sie schüttelt nur den Kopf und presst sich ein Taschentuch auf die Lippen. Großmutter bewegt die Räucherpfanne vor dem Bienenhaus auf und ab und nebelt den Eingang mit Rauch ein. Dann betritt sie das Bienenhaus und kommt gleich darauf ohne Räucherpfanne zurück. Sie geht, ohne ein Wort zu sagen, in die Küche. Ich starre auf die offene Bienenhaustür und glaube Vater mit einem Gewehr in der Hand zu erspähen. Er tritt allerdings ohne Waffe ins Freie, setzt sich auf die Schwelle und stützt den Kopf in die Hände. Mutter flüstert, dass man sich Sorgen um ihn machen müsse. Ich frage, was ich für ihn tun könne, und Mutter sagt: beten. Du sollst für ihn beten! Also bete ich für Vater ein
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