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Engel des Vergessens - Roman

Engel des Vergessens - Roman

Titel: Engel des Vergessens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wallstein Verlag
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Begegnung mit ihm, sehne mich nach einem Aufeinandertreffen, bei dem wir Funken sprühen und eine Melodie ersinnen könnten, die uns auf eine wundersame Weise vereint.
    * * *

Vater schreibt mir im dritten Studienjahr einen seiner wenigen Briefe. Ich grüße Dich, Mic , schreibt er. Er sei allein zu Hause, Mutter sei auf Kur. Deswegen müsse er mir einen Brief schreiben und mich fragen, wie es mir gehe. Ihm gehe es schlecht. Er schicke mir die Post, die an meine alte Adresse gekommen sei, und Geld. Ich solle damit machen, was ich wolle. Er schließt mit dem Satz, sei recht schön gegrüßt vom Unwerten, od nicvrednega, schreibt er, als ob er sich mit der Unterschrift durchgestrichen hätte.
    Zu Sommerbeginn werde ich von einem Freund nach Hause gebracht. Vater ist außer sich.
    Nachdem sich der Mann verabschiedet und mir Mutter ihre neuen Blumenbeete gezeigt hat, sperrt Vater die Eingangstür des Hauses ab und lässt uns im Freien stehen. Er schreit aus dem Küchenfenster, dass er mich Herumtreiberin und Hure nicht mehr ins Haus lassen wolle. Ich bin so verletzt, dass ich ihm androhe, sofort die Polizei zu holen, wenn er uns nicht auf der Stelle ins Haus ließe. Auf so einen Vater kann ich verzichten, schreie ich.
    Zeig mich an, wenn du willst, brüllt Vater zurück. Wenn dir nichts anderes einfällt, als mich anzuzeigen, kannst du gleich draußen bleiben und deine Mutter dazu.
    Er ist eifersüchtig, sagt Mutter, wir werden warten und später durch das Küchenfenster ins Innere klettern. Ich überlege, ob ich mir leidtun sollte oder ob die Situation nicht doch zu grotesk sei, um sie ernst zu nehmen. Das Küchenfenster ist zu meiner Erleichterung nur angelehnt. Mutter führt mich noch einmal in den Garten, und als wir zurückkommen, ist die Tür nach wie vor verschlossen. Im Holzschuppen treibe ich einen alten Melkschemel auf, den ich unter das Fenster stelle, um über die Blumenkisten auf das Fensterbrett und in die Küche zu klettern.
    Vater sitzt in der Wohnstube auf der Ofenbank und blickt durch das Südfenster auf die gegenüberliegende Seite des Grabens. Ich trete zu ihm.
    Gib mir den Schlüssel, sage ich. Er wirft mir einen wilden und vorwurfsvollen Blick zu.
    Geh weg, faucht er, geh schon zur Polizei!
    Wo ist der Schlüssel, frage ich energisch.
    Hier, sagt er und wirft den Haustorschlüssel auf den Boden.
    Ich hebe den Schlüssel auf und blicke Vater von der Seite an.
    Geh schon zur Polizei, verschwinde, sagt er.
    In diesem Moment überkommt mich ein wilder, aufsässiger Zorn. Mit mir nicht, denke ich, nicht mit mir! Aus einer plötzlichen Regung trete ich zu Vater und streiche ihm zweimal mit der Hand über den Kopf. Als ob ich ein Experiment ausführte, streiche ich ihm zart über die Haare. Vaters Kopf knickt unter meiner Handfläche ein. Er senkt sich auf die Brust, als ob seine Nackenmuskulatur jäh den Dienst versagte. Er verschluckt einen Seufzer, ja Mic, sagt er, ja, und dann, Scheißleben, kurc, pa to življenje !
    Einen Augenblick lang bin ich versöhnt. Ich könnte lächeln, aber das Lächeln verwandelt sich in meinem Gesicht zu einer Maske aus Wut, Empörung und Mitgefühl. So einfach ist es, Vater kleinzukriegen, denke ich kurz, so einfach. Aber ich habe die Rechnung ohne ihn gemacht, denn Vater lässt sich von mir nicht verändern.
    In der Nacht stehe ich in einem Bad vor dem Waschbecken und habe den Auftrag, jedem Mann, der den Raum betritt, eine Pille zu verabreichen. Es treten Männer ein, die ich zu kennen glaube. Ich gebe jedem eine Pille, die alle bereitwillig einnehmen. Gleich darauf krümmen sich die Männer unter Krämpfen und sterben. Nach einer Weile beginne ich an meinem Tötungsauftrag zu zweifeln. Ich will dem Verrecken nicht mehr zuschauen müssen. Ein unbekannter Mann tritt auf mich zu. Es ist der Mann, auf den ich gewartet habe. Wir umarmen uns und sinken in völliger Hingabe zu Boden. Über dem Waschbecken öffnet sich ein Fenster. Die halbe Verwandtschaft lugt herein und zeigt mit dem Finger auf uns. Ich lasse von der Liebe ab und trete um die Ecke in einen Palastsaal, in dem eine große Tafel festlich gedeckt ist. Vater und Mutter sitzen am Kopfende des Tisches und laden mich zum Mahl.
    * * *

Die heimatlichen Hügel haben sich in eine Falle verwandelt, die jeden Sommer nach mir greift und zuschnappt. Ich kann meinen Geburtsort immer weniger mit meinem Leben in Verbindung bringen und überlege, mir Notsteige zu bauen, um meine Zuversicht aus dem Graben schmuggeln zu können.

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