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Engel des Vergessens - Roman

Engel des Vergessens - Roman

Titel: Engel des Vergessens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wallstein Verlag
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Niemand wird es gesehen haben, niemand es glauben wollen. Was man gesehen hat als Zeuge, könnte einem den Schlaf und die Sprache rauben, aber die Gestapo will, dass geredet wird; in der richtigen Sprache, nicht in der falschen, sind alle Banditen zu melden, die man erblickt und erkennt. Die Partisanen verlangen dagegen Verschwiegenheit, niemand soll wissen, dass sie gekommen sind, gleich sind sie fort.
    So fängt es an, nachdem die ersten zweihundert slowenischen Bauernfamilien auf Himmlers Befehl von ihren Höfen vertrieben wurden, mit Brot für die Partisanen fängt es an, mit den Suppen für die Widerständler, das Brot verwandelt zur Waffe. Hier tragen die Feinde Schürzen und Röcke und Schulranzen. Ohne zu wissen, dass sie Kämpfer geworden sind, tragen sie ihre Haare friedlich zu Zöpfen geflochten, haben noch nie ein Gewehr in der Hand gehabt, sind aber Helfershelfer dieser terroristischen Banditen geworden, haben ihnen ein oder mehrmals Unterkunft oder Essen gegeben oder sonst wie geholfen. Ihre Ehre haben sie verloren. Sie haben die Feinde des Reiches begünstigt und werden deshalb mit dem Tod bestraft. Sie sind für immer ehrlos.
    Was bleibt, sind die Kinder, die hören müssen, wie ihre Mütter von der Polizei drangsaliert und geschlagen werden, die Schreie in ihren Ohren, die Flugblätter in ihren Milchkannen, die Kassiber in ihren Zöpfen, die Briefe in Schneebällen, die Läuse in ihren Haaren. Was bleibt, sind die Spuren im Schnee, die sie verwischen, ist der Gestank in der Schule, in der sie geschlagen werden, weil sie nicht Deutsch können. Kärntner sprich Deutsch!, und alles geht in die Hose, die deutsche Sprache mit Ohrfeigen und Stockhieben in ihre Finger und Köpfe geprügelt. Sie grüßen sich heute noch, Scheißer du, du mit dem stinkenden Hintern, Plärrer, hast du noch Angst?
    Die Geschichte zu Bruchstücken zerfallen: Vater zur Wehrmacht, Vater desertiert, Mutter nach Ravensbrück, der jüngere Bruder, der ältere Bruder nach Dachau, nach Stein an der Donau, Gestapogefängnis in Klagenfurt, Mauthausen, Lublin, Moringen, Auschwitz. Und Rosas Mutter, die einem Spitzel zu essen gibt, im Glauben, er sei ein Partisan, und als sie den Irrtum bemerkt, ihre drei Kinder packt und in den Wald flieht, sich dort versteckt, zu den Partisanen eilt, die Kinder zu den Großeltern schickt, die Kinder, die andere Kinder dabei beobachten, wie sie an einen Mann gekettet abgeführt werden sollen, die Mimi und mit ihr ein Bub, kaum zehn Jahre alt. Und Kinder, die ihre Mutter umarmen, wenn sie in der Nacht vorbeischaut, um Wäsche zu holen, die mit ihr gehen wollen in den feindlichen Wald.
    Der Vater gefallen, für Hitler gefallen. Und Stanko, der sieht, wie die Vivoda-Familie, die Šopar- und die Breck-Familie abgeführt werden, und Simon, der nicht mitgehen will, sich bis zur Bewusstlosigkeit betrinkt, von der Polizei auf den Leiterwagen geworfen wird, damit er fortgebracht werden kann von seinem Hof. Die toten Rinder auf der Mikej-Wiese mit ihren aufgeblähten Bäuchen, mit ihren in die Luft ragenden Beinen, wie sie nach Tagen zu stinken beginnen, der Stall abgebrannt, die Bauersleute zu den Partisanen gegangen. Die erschossenen Kämpfer im Schnee, unter Ästen begraben, die baumelnden Beine und Köpfe der Toten, wenn sie auf dem Leiterwagen in den Ort gefahren werden. Das Hüten der Kühe neben den frischen Gräbern, der Krieg, der Sommer, der Schnee.
    Die Schuhe des Bruders nicht erkannt, der von der Polizei erschossen und verscharrt wird, Vinzenz, neben dem Stall seiner Schwester begraben, die Schuhe nicht erkannt, die aus der Grube ragen. Erst später, nach Wochen erkennt Großmutter, meine Bica, dass es ihr Bruder ist, der unter der Traufe liegt, er und ein fremder Partisan hinter dem Haus, auf der Wiese, begraben im Schnee. Im Frühjahr der blutige Haufen, der nicht tauen will, und Bica, die nicht aus dem Bett kommt, sie liegt zu Tode ermattet, wie tot. Sie spricht nicht, sie isst nicht. Die Kinder versorgen die Tiere und kochen für die Mutter. Sie reden ihr zu, doch endlich aufzustehen, endlich erwachsen zu werden wie sie.
    Die Polizei jagt die Partisanen bei Tag, nicht in der Nacht. Die Häuser umstellt, eine ganze Patrouille, zwanzig und dreißig und vierzig und fünfzig Mann gegen die Frauen, die Kinder, die Schatten im Wald. Der Gefechtslärm im Haus, auf der Wiese, vor dem Stall, die brennenden Höfe, das Loch in der Brust des toten Partisans, der von einer Maschinengewehrsalve niedergemäht vor

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