Engel im Schacht
dich.«
Er knallte den Hörer auf die Gabel. Ich ging zurück ins Wohnzimmer, wo Mr. Contreras und Ken sich blendend über Militärgeschichte unterhielten. Mein Nachbar hatte im italienischen Anzio gekämpft. Seine eigenen Enkel interessierten sich genausowenig für sein Leben wie ihre Mutter, aber Ken hatte einige Bücher über den Zweiten Weltkrieg gelesen und hörte sich gern Einzelheiten an. Um Mitternacht scheuchte ich die beiden schließlich hinaus.
Sobald sie weg waren, schaltete ich alle Lichter aus und beobachtete die Straße durch einen Spalt in der Jalousie. Schon nach wenigen Minuten donnerte Kens Spider vorbei. Niemand ließ den Motor an, um ihm zu folgen. Ich blieb zwanzig Minuten am Fenster stehen. Wenn mich wirklich jemand beobachtete, war er sehr geschickt: Ich konnte auf der Straße niemanden entdecken.
Ich war fast davon überzeugt, daß Fabian jemanden auf mich angesetzt hatte, weil er glaubte, ich würde ihn zu seiner Tochter führen. Es sah mehr nach jemandem aus, der mich im Auge behalten wollte, als nach einer Drohung: Wenn Ken mir nicht glücklicherweise gefolgt wäre, hätte ich trotz meines unsicheren Gefühls bei der Heimfahrt wahrscheinlich nie von meinem Verfolger erfahren. Vielleicht phantasierte sich Ken das alles nur zusammen. Aber trotzdem ... Ich ging zum Schrank und holte die Smith & Wesson aus dem Safe. Das Magazin war geladen. Ich steckte es in die Waffe und legte mich ins Bett.
Wenn jemand versucht, einen nicht aus den Augen zu verlieren, sollte man ihn am besten zur Rede stellen. Wenn das nicht geht, hängt man ihn ab. Was bedeutete, daß ich meinen Trans Am nicht mehr fahren konnte. Aber ich konnte es mir nicht leisten, einen anderen Wagen zu mieten, und wollte auch die Sicherheit meiner Freunde nicht aufs Spiel setzen, indem ich mir von ihnen ein Auto auslieh.
Ich stand wieder auf und überprüfte alle Fenster und die Hintertür. Im letzten Jahr hatte ich eine Alarmanlage installiert. Ich wußte, daß es schwierig war, die zu überwinden, aber deswegen wurde ich auch nicht ruhiger, denn ich hasse es, in meiner eigenen Wohnung belagert zu werden. Als ich die Jeans in meinem dunklen Schlafzimmer auszog, hörte ich Papier rascheln, und der Brief von Senator Gantner, den ich aus Fabians Schreibtischschublade genommen hatte, fiel mir wieder ein. Ich schaltete die Lampe neben dem Bett an und las ihn.
Der Senator bedankte sich bei Fabian - »Professor Messenger« - für seinen Rat bezüglich der Boland-Novelle. Und er wollte wissen, ob Fabian ihm jemanden empfehlen könne, der sich in Steuerfragen bei ausländischen Krediten auskannte. Fabian hatte dem Mann, der ihm möglicherweise zu einer Stelle als Bundesrichter verhelfen konnte, seinen Wunsch sicher nur allzugern erfüllt. Doch der Brief hatte nichts mit dem Tod seiner Frau oder mit der Verschwiegenheit aller Leute bei Home Free oder Lamia oder mit irgendeiner der anderen Fragen zu tun, die ich zu beantworten versuchte. Kurz: Ich war nicht nur neugierig gewesen, sondern auch dumm, den Brief mitzunehmen. Wie um Himmels willen sollte ich ihn wieder in die Schublade zurückbefördern?
Es war schon nach zwei, als ich endlich in einen leichten, unruhigen Schlaf voll fieberhafter Träume fiel. Ich jagte Emily hinterher, war aber plötzlich blind geworden und hatte keine Ahnung, wie weit sie von mir weg war oder wo wir uns befanden. Ich folgte Emily endlose Treppen hinunter, während Phoebe, Lotty und meine Mutter in Seitentüren standen und sich über meine Blindheit lustig machten.
Komplexe Daten
Am Freitag machte ich mich wie gerädert an die Arbeit, weil ich völlig übernächtigt war. Nachdem ich mich mit Alice Cottingham in Verbindung gesetzt hatte, die wie erwartet keine Kollegen oder Kolleginnen aufgespürt hatte, bei denen Emily untergeschlüpft war, fuhr ich zum Herold-Star. Ich machte mir keine Mühe zu verbergen, wo ich hinwollte, denn das war kein Geheimnis, und die Wahrscheinlichkeit, daß sich am hellichten Tag in der Innenstadt jemand auf mich stürzen würde, war ziemlich gering. Trotzdem spürte ich während der ganzen Fahrt ein Prickeln im Nacken.
Die Berichte über Alec Gantner füllten einen großen Karton. Auf einem Blatt Papier auf Murrays Schreibtisch war ein auf den Karton gerichteter Pfeil gemalt. Dazu hatte Murray geschrieben, daß er das ganze Material in den Altpapiercontainer bringen würde, wenn ich es nicht bis zum Abend abgeholt hätte.
»P S«, hatte er hinzugefügt. »Ich hab' mir die
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