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Engel im Schacht

Engel im Schacht

Titel: Engel im Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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Platz, daß wir nebeneinanderstehen konnten. Ich ließ den Strahl der Taschenlampe über die Ziegel gleiten, konnte aber keine Öffnung entdecken. Der alte Mann ging ächzend in die Knie. Plötzlich stürzten sich ein paar Ratten aus dem Nichts auf ihn. Er schrie vor Schmerz auf und fiel nach hinten. Dabei versuchte er, sie von seinem Gesicht wegzuwischen. Ich packte eins der Viecher beim Schwanz und schleuderte es gegen den Ofen. Die andere Ratte rannte Mr. Contreras' Arm hinunter und verschwand.
    Ich zitterte, als ich den Strahl der Taschenlampe über Mr. Contreras gleiten ließ. Die Haut unter seinem linken Auge war aufgerissen und blutete.
    »Alles in Ordnung, Süße.« Der alte Mann gab sich größte Mühe, nicht allzusehr zu schnaufen. »Wie dumm von mir. Sie haben natürlich gedacht, ich will an ihr Nest.« »Genau. Sie greifen nur an, wenn sie das Gefühl haben, in die Enge getrieben zu werden.«
    Zitternd ging ich rückwärts an dem Boiler vorbei zu unserem Handwagen. Ich suchte in unserem Erste-Hilfe-Kasten nach dem Peroxyd und beschloß dann, die ganzen Sachen zu bringen. Es war gerade genug Platz, um den Handwagen vor mir herzuschieben. Jedesmal, wenn ich eins der Biester neben mir hörte, bedeckte ich mein Gesicht. Die Ratte, die ich gegen den Boiler geschleudert hatte, kroch auf Mr. Contreras zu. Wutentbrannt und voller Angst überrollte ich den fetten Körper mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte. Das Tier stieß einen gräßlichen Schrei aus. Ich war vor Angst fast wahnsinnig und konnte mich über das Geräusch nur noch freuen. Der alte Mann machte einen Satz. »Ach. Sie haben eine erledigt. Ich hab' schon gedacht, es hat Sie erwischt, Süße. Das hat mich mehr erschreckt als das Vieh vorher in meinem Gesicht. Ich glaube, ich habe das Loch gefunden.«
    Er hatte in einer Ecke hinter dem Boiler eine Lücke entdeckt. Ein Stück Mauerwerk vom Fundament war abgebrochen, so daß für einen schlanken Menschen gerade genug Platz war hindurchzuschlüpfen. Diese Lücke war mir vorher noch nie aufgefallen. Ich hätte sie nicht nur wegen der Ratten, sondern auch wegen des schlechten Lichts nicht gefunden, denn wenn man nichts von den Höhlen hinter der Mauer wußte, suchte man auch nach keinem Zugang zu ihnen. Mr. Contreras hatte sie nur gefunden, weil er die Wände abgetastet hatte, während er auf mich wartete.
    Ich zog meine Handschuhe aus und reinigte seine Wunde. »Sie sollten damit zum Arzt. Glauben Sie, Sie könnten draußen auf der Michigan Avenue ein Taxi kriegen?« »Ich glaube, ich werde Ihnen gleich noch eins auf den Deckel geben, wenn Sie meinen, ich lasse Sie hier allein, Warshawski. Machen Sie die Wunde lieber ordentlich sauber. Sie blutet, das ist ein gutes Zeichen. Später können wir uns immer noch Gedanken über Tollwut und Beulenpest und andere Krankheiten machen, die die Viecher angeblich übertragen.«
    Ich tupfte die Wunde viel sorgfältiger ab, als eigentlich nötig gewesen wäre. Plötzlich zuckte der Mann zusammen, weil ich am rohen Fleisch herumrubbelte. Ich trug Salbe auf die Verletzung auf. Aus Sorge darüber, daß der Geruch der Salbe vielleicht die Ratten anlockte, verband ich die Wunde, so gut es ging. Sie schlichen um uns herum, während ich mich um Mr. Contreras kümmerte, aber sie wagten es nicht, den Tod ihres Kameraden zu rächen.
    Als Mr. Contreras wieder auf den Beinen war, nahm er den Vorschlaghammer und vergrößerte die Öffnung hinter dem Mauerwerk. Immer mehr Ratten strömten heraus, während er arbeitete. Meine Haut war klatschnaß unter dem Arbeitsanzug. Ich begann zu frösteln in der klammen Luft.
    Als Mr. Contreras fertig war, machte er eine kleine Pause, um Luft zu schöpfen. Ich spähte durch das Loch, das er geschlagen hatte. Die Öffnung führte direkt zu einer Treppe, von der ich die obersten zwei oder drei Stufen im Licht meiner Taschenlampe sehen konnte.
    Ich nahm das Seil, die Leiter, die Batterien für die Taschenlampe und eine Decke für den Handwagen. Dann schlang ich mir ein Ende des Seils um die Taille und befestigte das andere an meinem Nachbarn. Schließlich nahm ich noch die Smith & Wesson aus meinem Schulterholster und steckte sie in eine meiner Seitentaschen. Das war absurd - schließlich konnte ich nicht das ganze Ungeziefer hier erschießen -, aber es gab mir ein sicheres Gefühl.
    Mein Nachbar nickte mir zu, um mir zu bedeuten, daß er wieder richtig atmen konnte. »Fertig, Süße? Passen Sie auf beim Runterklettern. Sie wissen nicht, wie's

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