Engel im Schacht
Kreuzungen wurde das Wasser mit Feuerwehrschläuchen aus den unterirdischen Kanälen gepumpt.
Ich setzte Mr. Contreras zusammen mit unserer Ausrüstung Ecke Wabash Avenue/Monroe Street ab und versuchte, außerhalb der Abschleppzone einen Parkplatz zu finden. Nachdem ich ihn abgeholt hatte, waren wir in einen Haushaltswarenladen gegangen, um das, was wir noch brauchten, einzukaufen - ein paar starke Taschenlampen mit Ersatzbatterien, Gummistiefel, Schutzbrillen, einen Handwagen und eine tragbare Leiter.
Ich schaute nicht hin, als ich meine Unterschrift unter den Kreditkartenbeleg setzte - ich wollte gar nicht wissen, um wieviel sich meine Schulden erhöhten. Schutzhelme und Overalls hatten wir bereits. Mr. Contreras besaß zusätzlich noch einen Keil und einen Vorschlaghammer. In der Hoffnung, die Hawkings auch tatsächlich zu finden, hatte ich ein paar Decken und saubere T-Shirts mitgenommen, einen Erste-Hilfe-Kasten und eine Kiste mit Fruchtsäften. Wir hatten eine gute Stunde gebraucht, um all das zu besorgen. Jetzt waren der Kofferraum und der Rücksitz voll, und der Handwagen ragte zum Fenster hinaus.
Während unserer Fahrt nach Süden hörte ich Nachrichten. Keiner der Sender erwähnte etwas davon, daß man Obdachlose gefunden hätte, aber es klang auch nicht gerade so, als suchten die städtischen Arbeiter, die in den Tunnels herumkrochen, eigens nach ihnen - alle brachten sich erst einmal vor dem Wasser in Sicherheit. Nach allem, was ich im Fernsehen gesehen hatte, bildeten die Schächte ein ausgedehntes Labyrinth: Wenn das Wasser langsam eindrang, konnten Leute, die eventuell da unten waren, sich Ausweichwege suchen und vielleicht sogar trockenen Fußes wieder an die Erdoberfläche kommen. Und wenn Tamar Hawkings sich tatsächlich dort befand, konnte sie mit den Kindern wieder in den Keller des Pulteney zurück. Zwar wären sie dann in einem vernagelten Gebäude eingesperrt, aber wenigstens ertranken sie nicht.
Ich mußte den Wagen beinahe eineinhalb Kilometer vom Pulteney entfernt abstellen. Ich joggte durch die dunklen Straßen, so schnell es mit meinem Arbeitsanzug ging, und versuchte, dem wieder einsetzenden Pochen in meinem Kopf keine Beachtung zu schenken. Vor dem Pulteney traf ich Mr. Contreras in einer heftigen Auseinandersetzung mit einem Polizisten an.
»Ich bin befugt, in dieses Gebäude einzudringen«, sagte mein Nachbar gerade. »Die Eigentümer wollen, daß wir nachsehen, ob das Wasser reinkommt oder nicht.« »Das Haus soll doch nächsten Monat abgerissen werden. Was macht da das Wasser im Keller noch?« wollte der Polizist wissen.
»Wer weiß?« antwortete der alte Mann. »Wenn Sie irgendwann mal rausfinden, was Chefs sich so denken, dann lassen Sie es mich wissen. Da kommt meine Partnerin, die kann Ihnen alles erklären.«
»Der Eigentümer heißt Freddie Culpepper«, erklärte ich dem Beamten. »Ich habe die Nummer seines Autotelefons, wenn Sie mit ihm sprechen wollen, um den Auftrag zu überprüfen - er ist heute in Olympia Fields, um sich ein paar seiner dortigen Gebäude anzusehen.«
Ich holte einen Kugelschreiber aus der Seitentasche meines Arbeitsanzugs und kritzelte Freddies Nummer auf einen Zettel. Ob wir dadurch glaubwürdiger wurden oder ob er einfach das Risiko einging, weil er dachte, aus einem verlassenen Gebäude wäre ohnehin nichts zu holen, weiß ich nicht, jedenfalls ließ er uns in Ruhe und wandte sich wieder dem Verkehr auf der Monroe Street zu.
Mit dem Wissen, daß wir uns über die Gesetzeshüter keine Gedanken zu machen brauchten, fiel uns unsere Aufgabe um einiges leichter: Wir mußten es nicht heimlich tun. Ich hielt den Keil, während mein Partner mit dem Vorschlaghammer dage-genschlug. Die Vibration setzte sich in meinem Arm fort und verstärkte das Pochen in meinem Kopf. Auch meine angebrochene Rippe schmerzte wieder. Mr. Contreras wurde vielleicht schon bald achtzig, aber seine Muskeln waren immer noch beachtlich. Endlich splitterten die Bretter, und danach folgte das Klirren von herunterfallendem Glas: Er hatte den Keil so weit hineingetrieben, daß die Tür dahinter auch gleich zerbarst.
Mit schnellen Bewegungen stemmten wir die Bretter weg und brachten unsere Ausrüstung nach innen, bevor der Polizist es sich anders überlegen konnte. Abgesehen von einem geisterhaften Lichtstrahl, der durch unser Einstiegsloch hereindrang, war es im Foyer dunkel. Es roch nach Urin und Schimmel.
Ich knipste eine Taschenlampe an. Nachdem das Gebäude vernagelt worden
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