Engel im Schacht
da unten aussieht, nicht daß Sie vielleicht im Wasser landen.«
»Gut. Dann mache ich mich mal an die Arbeit.« Das Eisenrohr als Krücke in der einen Hand, kletterte ich durch das Loch in der Mauer.
Engel im Schacht
Die Feuchtigkeit hatte sich mit dem Kohlenstaub zu einer schwarzen Glasur auf den Stufen verbunden. Das Licht der Taschenlampe glitzerte darauf wie Mondlicht auf schwarzem Eis. Wir versuchten, die Treppe hinunterzuschauen, um zu sehen, wie weit wir gehen müßten, konnten jenseits des Lichtkegels jedoch nichts erkennen. Also machten wir uns, auf die Metallstangen gestützt, vorsichtig auf den Weg nach unten. Die Dunkelheit jenseits des Lichtkegels war undurchdringlich, als habe eine riesige Hand jegliche Helligkeit aus der Luft gepreßt. Wir schienen uns durch schwarze Materie hindurchzukämpfen, die unser mickriges Licht erstickte, und bewegten uns leise, bedrückt vom Gewicht der Luft hier unten, von der Last der Erde über uns. Nur das Quieken der Ratten, die sich mit ihren schnellen, leichtfüßigen Bewegungen über uns lustig zu machen schienen, störte die Stille.
Einen Augenblick lang geriet ich in Panik und verwechselte den Mangel an Licht mit einem Mangel an Sauerstoff. Ein wenig benommen streckte ich die Hand nach der Eisenstange aus, die jemand an die Wand neben der Treppe geschraubt hatte. Als ich sie berührte, löste sie sich und landete mit einem Krachen auf meinem Hinterteil. Mr. Contreras fragte mich besorgt, ob ich mir weh getan hätte, aber mein Arbeitsanzug hatte den Schlag abgeschwächt, so daß mich nur mein Steißbein ein bißchen schmerzte. Der Schreck hatte zumindest dafür gesorgt, daß ich jetzt wieder klar denken konnte.
Hier unten stank es nach Schimmel und Rattenkacke, aber die Luft war nicht abgestanden. Ich zündete ein Streichholz an, um mich davon zu überzeugen, daß mein Eindruck stimmte. Die Flamme brannte hell und leuchtend. Um den psychischen Druck loszuwerden, begann ich, Figaros fröhlichen Abschiedsgruß an Cherubino zu singen. Mr. Contreras und ich waren selbst wie Schmetterlinge, doch flatterten wir hinunter in die Eingeweide der Erde, nicht in die Gefahren der Schlacht. Mein Singen löste die Spannung, die Mr. Contreras am Reden gehindert hatte. Er begann, mich mit seinen Kriegsanekdoten zu unterhalten. Natürlich hatte ich die meisten schon gehört, zum Beispiel die Sache mit Clara, die er Mitch Krueger ausgespannt hatte, oder die Geschichte von dem Schrapnell, das ihn bei Anzio getroffen hatte, aber wenigstens erfüllte seine wohlklingende Stimme, die von den Wänden widerhallte, den Schacht mit Leben.
Am Fuß der zweiten Treppe fiel der Lichtkegel der Taschenlampe auf eine Erhebung. Ich blieb stehen, um das Ding, das da lag, aufzuheben. Es handelte sich um eine Art Säckchen, von dem das Futter in Fetzen weghing. Die synthetische äußere Hülle war noch als das zu erkennen, was sie einmal gewesen war: ein Kinderskihandschuh, ehemals leuchtend blau. Ich hatte keine Ahnung, wie schnell Schimmel und Schmutz Stoff zersetzen, aber der Handschuh sah aus, als habe er schon jahrelang dort gelegen. Ich legte ihn wieder zurück. Wenigstens bewies er, daß wir, wenn nicht schon Tamar Hawkings, so doch menschlichem Leben auf der Spur waren.
Wir bewegten uns weiter nach unten, erneut schweigend, nachdem wir den Handschuh gefunden hatten. Die Stufen schienen sich endlos ins Zentrum der Erde zu erstrecken. Ich verlor das Zeitgefühl völlig, dachte, wir seien schon seit Stun den unterwegs, doch als ich nach der dritten Treppe einen Blick auf meine Uhr warf, sah ich, daß wir insgesamt nur sieben Minuten auf den Stufen verbracht hatten. Am Ende der vierten Treppe kamen wir an eine verschlossene Tür. Das Wasser leckte hier an der untersten Stufe. Wir wateten hinüber zur Tür. Ein paar Ratten kletterten durch ein Gitter am oberen Ende. Während Mr. Contreras die Klinke packte und daran zog, vertrieb ich die Ratten mit meiner Stange.
Er hatte Mühe, die Tür gegen den Druck des Wassers aufzubekommen. Schließlich gab ich meinen Kampf gegen die Ratten auf, um ihm zu helfen. Schwer atmend brachten wir sie schließlich auf.
Vor uns lagen die Tunnels. Um Batterien zu sparen, hatten wir auf dem Weg nach unten nur eine Taschenlampe benutzt, jetzt knipste ich auch die andere an, damit wir besser sahen.
Die Lichtkegel unserer Lampen tanzten über die schmierige Wasseroberfläche. Ein paar Ratten kamen auf uns und die offene Tür zu und liefen dann die Stufen hinauf. Ich
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