Engel im Schacht
oder besser gesagt Ihre Bank - haben uns gerade fünfundzwanzigtausend Dollar überlassen.«
Er lächelte. »Ach so, ja. Wir freuen uns immer, wenn wir wichtigen städtischen Gruppen helfen können. Arbeiten Sie auch für diese Gruppe, Ms. ... äh?« »Warshawski«, wiederholte ich. »Nein. Ich bin nur im Stiftungsbeirat.« Er sah sich auf der Suche nach bedeutenderen Gesprächspartnern im Raum um. Als er niemanden finden konnte, wandte er sich wieder mir zu und fragte mich, was ich tue, immerhin so höflich, daß ich ihm in kurzen Worten meine Tätigkeit beschrieb. Man konnte nie wissen - vielleicht brauchte Gateway ja einmal eine selbständige Privatdetektivin.
»Tja, irgendwie verbringe ich in den letzten Wochen zu viel Zeit mit unbezahlten Nachforschungen. Vielleicht könnten Sie mir ja in einem Fall helfen.«
Er wich einen Schritt zurück. »Nein, Ms. ... , das kann ich sicher nicht. Meine Tätigkeit für gemeinnützige Unternehmungen beschränkt sich auf das gelegentliche Ausschreiben eines Schecks. Außerdem wollte ich nie Dick Tracy sein und mit einer Waffe in der Hand in der Stadt rumlaufen.«
Ich mußte lachen. »Die Art von Hilfe habe ich nicht gemeint. Aber ich dachte mir, möglicherweise kennen Sie jemanden von der Century Bank, der sich mit mir unterhalten möchte.«
Wieder sah er sich im Raum um und fragte mich dann, warum ich ihn um diesen Gefallen bat. Als ich ihm von Camillas Problem erzählte, hörte er aufmerksamer zu, aber als ich fertig war, meinte er, er kenne niemanden von Century gut genug, als daß er mich hinschicken könne. Er fragte mich statt dessen, wie ich in so einem Fall vorgehen würde. Ich schilderte ihm kurz meine üblichen Methoden. »Was, bei einem gemeinnützigen Projekt wenden Sie so viel Zeit auf?« wollte er wissen. »Wenn ich etwas mache, mache ich es gründlich. Nur so kann ich mit den großen Firmen konkurrieren.«
Wieder schaute er sich um und entdeckte endlich jemanden, der ihn von mir erlöste. Nachdem er kurz meinen Unterarm berührt hatte, wünschte er mir Glück und eilte auf die andere Seite des Raums.
Emily tauchte auf und stolperte über ihre abgewetzten Pumps, als sie Fabian etwas mitteilte. Fabian lächelte huldvoll und ließ die Gruppe um den Kamin allein, um in den Flur zu eilen. Auch die anderen zerstreuten sich, so daß Manfred Yeo einen Augenblick allein blieb. Ich ergriff die Gelegenheit, um zu ihm hinüberzugehen. Er erkannte mich sofort. »Victoria! Wie schön, Sie wiederzusehen. Wie geht es Ihnen denn, meine Liebe? Viele angesehene Juristen haben an unserer Universität ihren Abschluß gemacht, und eine ganze Menge von ihnen sind heute abend hier, aber mir bereitet es besonderes Vergnügen, über Ihre Arbeit zu lesen - von Brücken zu springen ist viel aufregender, als Revisionsanträge abzuheften.«
Ich hatte im zweiten Studienjahr einen Kurs über Verfassungsrecht bei Yeo belegt. Mit dem Jurastudium hatte ich ziemlich früh begonnen, weil die Universität mir im Rahmen eines Sonderprogramms die Möglichkeit dazu eingeräumt hatte. Mein Vater war damals krank geworden, fünf Jahre später war er gestorben, und ich wollte unbedingt meine Ausbildung beenden, um eine gewisse finanzielle Sicherheit zu haben. Yeos Esprit und Verständnis hatten mir das Gefühl gegeben, daß Jura mir obendrein noch Spaß machen könnte. Auch er hatte mich gerne gemocht, und so hatte er mir Ferienjobs in Fabriken oder Büros erspart und mir ein paar attraktive Praktika vermittelt. Er schickte mir nach wie vor handsignierte Weihnachtskarten, aber ich hatte immer das Gefühl gehabt, ihn verraten zu haben, weil ich Privatdetektivin geworden war, noch dazu eine, die am Hungertuch nagte.
Als ich ihm das ein bißchen verlegen erklärte, legte er mir den Arm um die Schultern. »Meine Liebe, ich bin stolz darauf, daß Sie Ihre Prinzipien nicht verraten haben, denn auf das Recht kann man heutzutage nicht mehr stolz sein. Es ist nicht mehr das, was ich vor fünfzig Jahren voller Freude studiert habe. Ich schäme mich dafür, daß für viele Juristen heute die Honorarabrechnung wichtiger ist als die Gerechtigkeit.« Ganz unerwartet traten mir Tränen in die Augen. Die Monotonie meiner Arbeit, ja sogar meine Müdigkeit, schwanden ob seines Lobs. Ich empfand so etwas wie einen schändlichen Triumph: Donald Blakely, der Banker, deutete von der Gruppe, in der er jetzt stand, zu mir herüber. Meine Aktien waren ganz schön gestiegen durch die Berührung von Manfreds Arm. Bei dem
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