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Engel im Schacht

Engel im Schacht

Titel: Engel im Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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Gedanken mußte ich kichern. »Ach...«, sagte Manfred gerade und ließ meinen Arm los, »deswegen geht's hier so zu. Es gibt was zu essen.«
    Fabian kam eben mit einem Mann ungefähr in meinem Alter zurück, der Typ Mann, der so gut aussieht, daß er immer sich selbst mehr lieben wird als jeden anderen Menschen. Irgendwie kam er mir bekannt vor; einen Augenblick überlegte ich, ob ich ihn vom Kino kannte.
    »Alec Gantner«, erklärte mir Manfred. »Sein Vater war einer meiner ersten Studenten. Fabian hat den jungen Alec als Vertreter der Familie eingeladen. Ich glaube, ich muß rüber, ihn begrüßen.«
    Natürlich. Alec S enior, der republikanische Senator aus Illinois, hatte das gleiche fein ziselierte Gesicht, das nur noch distinguierter wirkte durchs Alter. Kein Wunder, daß Fabian so lange mit dem Essen gewartet hatte. Wenn Deirdre recht hatte und er Bundesrichter werden sollte, war es sicher richtig, Senatoren zu umwerben.
    Als Manfred hinüberging, um dem jungen Gantner die Hand zu schütteln, flüsterte Emily uns anderen Gästen nacheinander zu, daß wir jetzt in den Speisesaal gehen könnten.

Von Reichen, Säufern und Ratten
    Ein langer Tisch beherrschte den Speisesaal. Er war mit Leinen gedeckt, so weiß, daß es mich blendete. Fast hätte man bei dem ganzen Silber, den Blumen und den Kandelabern irgendwo ein Schild mit der Aufschrift »Nur für wichtige Gäste« erwartet, denn die anderen waren an kleinere Tische an den Seiten verbannt. Natürlich suchten alle zuerst am Haupttisch nach ihrem Namensschild, weil sie hofften, zu den Auserwählten zu gehören. Enttäuschung machte sich bei denen breit, die feststellten, daß sie nicht als wichtig eingestuft wurden. Sogar ich fühlte mich verraten, als ich sah, daß Manfreds herzliche Begrüßung nicht automatisch seinen Wunsch nach sich gezogen hatte, während des Essens neben mir zu sitzen: Ich landete mit dem Bodensatz am Katzentisch neben der Küchentür. Irgendwie mußte ich über mich selbst lachen - schließlich hatten alle meine beruflichen Entscheidungen ganz bewußt von Wohlstand und Macht weggeführt. Wie konnte ich mich jetzt darüber aufregen, wenn sie mich nicht in ihre Reihen aufnahmen.
    Plötzlich trat Deirdre durch eine Schwingtür in der Nähe meines Tisches. Sie blieb wie angewurzelt in der Mitte des Raumes stehen, den Kopf in den Nacken geworfen wie eine Kobra, die Augen funkelnd. Die Gäste drängten an ihr vorbei und begrüßten sie, doch sie sagte nichts, bis jemand sie tatsächlich bat, ihr beim Finden seines Platzes behilflich zu sein.
    Deirdre verzog den Mund zu etwas Ähnlichem wie einem Lächeln. »Wenden Sie sich doch bitte an mein Töchterchen, wenn Sie Hilfe brauchen; sie hat die Sitzordnung arrangiert. Das war wie in dem alten Georgie-Price-Comic: Ja, du kanns tatsächlich helfen: Stell doch bitte die Platzkarten auf - während die liebe Ehefrau in der Küche werkelt.«
    Sie sprach laut genug, daß die Gäste in der Nähe der Küche sie verstehen konnten. Die meisten lachten, doch Emily, die mittlerweile mit einem Kleinkind auf dem Arm hereingekommen war, wurde rot und ließ den Kopf hängen.
    Plötzlich wurde mir klar, daß Emily also nicht das Kindermädchen, sondern Deirdres Tochter war. Ihre breite Stirn und die starken Wangenknochen stammten unbestreitbar von Fabian. Die Ähnlichkeit war auffallend; im nachhinein konnte ich es kaum glauben, daß ich das nicht gemacht hatte, als sie vorher neben ihm stand. Ich versuchte, mich zu erinnern, ob ich irgend etwas Verräterisches gesagt hatte. Gleichzeitig fragte ich mich, wie Deirdre so grausam sein konnte, ihre Tochter in eins ihrer eigenen Kleider zu stecken. Das pinkfarbene Wollkleid paßte der jungen Frau nicht nur schlecht, sondern war eindeutig auch für eine ältere Frau bestimmt, für eine Matrone, nicht für ein Kind. Das führte nur zu Verwirrung über Emilys Status innerhalb der Familie, insbesondere deshalb, weil sie sich ständig um die Kinder kümmerte.
    Der etwa zweijährige Junge wand sich in ihren Armen. Emily versuchte ihn abzulenken, indem sie ihm den Kronleuchter zeigte, ein riesiges Ding, dessen Gehänge das Licht in glitzernd blauen und gelben Splittern zurückwarf. Doch das Kind wollte sich nicht beruhigen lassen. Die fortgeschrittene Stunde, der Lärm, die Fremden, all das machte den Jungen aufsässig. Er jammerte und versuchte, sich aus den Armen seiner Schwester zu befreien, doch weder Deirdre noch Fabian schenkten dem Schauspiel Beachtung.
    Endlich

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