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Engel im Schacht

Engel im Schacht

Titel: Engel im Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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saßen alle am Haupttisch, am einen Ende Fabian, am anderen Manfred Yeo. Donald Blakely, der Präsident der Gateway Bank, und Alec Gantner hatten Plätze neben Fabian. Die Frauen waren am Tisch verstreut plaziert wie Mohnblumen unter Pinguinen. Möglicherweise waren sie angesehene Juristinnen und Geschäftsfrauen, aber sie sahen aus, als seien sie lediglich als hübsches Beiwerk eingeladen worden. Zwei kleine Tische mit jeweils sechs Stühlen standen in den Erkern am südlichen Ende des Raumes. Das waren offenbar die neuen Sterne am Himmel des Big Business, diese jungen, gutgekleideten, selbstbewußten Leute, die sich fröhlich über das Ende der Skisaison unterhielten und sich schon aufs Segeln freuten.
    Joshua saß auf ein paar Wörterbüchern neben einem leeren Stuhl am Haupttisch. Ich dachte, seine Mutter würde sich neben ihn setzen, doch nachdem Fabian seine Tischnachbarn gebührend begrüßt hatte, ließ sich Deirdre demonstrativ an meinem Tisch nieder. Vielleicht war das die Gelegenheit, die Sache mit Tamar Hawkings und ihren drei Kindern zu besprechen, aber so wie Deirdre aussah, konnte man sie höchstens mit der Bitte um eine weitere Flasche Wein belasten. Emily war mit dem kleinen Jungen in meiner Nähe geblieben, während sich die anderen Gäste setzten. Sobald Fabian Platz genommen hatte, brachte sie ihm das Kind. Ihr Vater machte eine ungeduldige Geste und deutete zum anderen Ende des Tisches, zu Manfred. Emily errötete und schleppte den Jungen zu ihm hinüber. Der Professor zeigte gebührende Begeisterung, und nach einem kurzen Blick auf ihren Vater, der sie nicht beachtete, verließ Emily den Raum.
    Deirdre rief sie zurück und fummelte ungeschickt am Pyjama des Kindes herum. »Ja, Nathan. Jetzt, wo dein Daddy Manfred bewiesen hat, wie potent er ist - ist schließlich gar nicht so leicht, mit vierzig noch einen Sohn zu zeugen -, darfst du ins Bett.« Sie sprach so laut, daß alle Gäste des langen Tisches es hören konnten. Es trat kurzes Schweigen ein. Die Frau zu Fabians Rechter kicherte laut, und alle begannen nervös durcheinanderzureden. Auch Fabian lachte, aber ein paar Sekunden lang grub die Wut furchterregende Falten um seine Augen und seinen Mund.
    Wieder stolperte Emily aus dem Raum. Die beiden Barkeeper halfen der Kellnerin, die kalte Karottensuppe zu servieren. Als Emily wieder zurückkam und sich auf den leeren Stuhl neben Joshua setzte, brachte das Personal bereits den Hauptgang auf den Tisch.
    Das Essen war ausgezeichnet - erstaunlicherweise, wenn man Deirdres angetrunkenen Zustand und die zähen hon d'ceuvres bedachte.
    Deirdre saß mit dem Rücken zum Haupttisch, nahe genug bei Fabain und Gantner, um den größten Teil ihres Gesprächs mitbekommen zu können. Die beiden Männer unterhielten sich über die Köpfe der beiden Frauen hinweg, die zwischen ihnen saßen, und Donald Blakely schloß sich ihnen an. Die Frauen unternahmen den einen oder anderen Versuch, sich ebenfalls am Gespräch zu beteiligen, aber man schnitt ihnen so erfolgreich das Wort ab, daß sie sich über den Tisch beugen und miteinander vorliebnehmen mußten. Das sah aus, als flögen Propellermaschinen unter riesigen Jumbojets dahin.
    Jedesmal, wenn Fabian etwas sagte, zuckte Deirdre auf ihrem Stuhl zusammen. Sie gab sich keine Mühe, ein Gespräch mit ihren Tischnachbarn anzufangen, sondern stocherte in ihrem Essen herum, während sie ein Glas nach dem anderen trank. Wir, die wir an ihrem Tisch saßen, gaben uns größte Mühe, in dieser peinlichen Situation noch erfreut auszusehen. Ich kam mir vor, als schwimme ich einen Wasserfall hinauf. Am meisten zu bedauern war eine junge Frau namens Lina, die links von Deirdre gelandet war. Sie war mit einem von Fabians Studenten verheiratet - dem Herausgeber der Law Review - und vertraute den anderen Gästen an, daß sie gerade erst einundzwanzig geworden war, als sie Brian an Weihnachten geheiratet hatte. Ihr e Gastgeberin versuchte, ihre Aufmerksamkeit gleichmäßig zwischen ihrem Weinglas und Fabians Bemerkungen aufzuteilen, während Lina bemüht war, sich mit ihr zu unterhalten - über das Essen, das Haus, die Chicagoer Oper, alles und jedes, um nur ja zu beweisen, daß es Deirdre gutging, daß ihre wütenden Zuckungen nichts anderes waren als ein vorübergehender Alptraum.
    Ich tat meine Pflicht und Schuldigkeit, indem ich Brian nach seinen Kursen und seinem und Linas Haus fragte. Eine Frau gegenüber von uns, die in der Gateway Bank für Donald Blakely arbeitete,

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