Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engel im Schacht

Engel im Schacht

Titel: Engel im Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
Vom Netzwerk:
studiert hatten, überprüfte ihre akademischen Grade und erkundigte mich bei verschiedenen Kreditinstituten, ob es um ihre Bonität genausogut bestellt war wie um ihre akademischen Würden.
    Das war genug Arbeit für einen Tag. Ich schaltete den Computer ab und sperrte die Tür hinter mir zu. Auf dem Weg nach draußen schaute ich noch ein letztes Mal in den Keller, aber die Ratten waren noch immer unter sich. Natürlich erwartete ich nicht, Tamar Hawkings dort zu entdecken: In ihren Augen hatte ich sie wahrscheinlich an die Sozialarbeiterin verraten. Sie würde sich nicht noch mal aufs Glatteis führen lassen. Die Temperatur war im Verlauf des Tages beständig gestiegen, so daß das Eis von den Bäumen und Autos schmolz. Die Luft war erfüllt von entsetzlichem Gestank; auf dem Weg über den Loop zum Golden Glow verwandelten sich meine Socken in meinen Nike-Turnschuhen zu nassen Wollappen.
    In dem kleinen Lokal setzte ich mich an einen Tisch bei der Heizung und streckte dankbar die Beine aus. Die Wärme der Tiffany-Lampen schenkte mir einen Augenblick die Illusion der Ruhe.
    Ich war früh dran, früher als Cyrus Lavalle und früher auch als die Leute, die nach der Arbeit noch schnell einen Drink kippten. Sal Barthele, die das Lokal persönlich führt, kam mit einer Black-Label-Flasche hinter der Theke hervor. Den hufeisenförmigen Mahagonitresen hatte sie im alten Regent's Hotel entdeckt, als das vor zwölf Jahren abgerissen wurde. Sal hatte ihn eigenhändig abgebeizt und poliert, so daß er jetzt wieder so glänzte wie damals, als er die Fabrik des englischen Herstellers anno 1887 verließ. Sal feuert jeden Kellner, der nicht sofort jeden Tropfen, der darauf fällt, wieder wegwischt.
    Ich winkte ab. »Heute lieber nicht. Ich muß noch zu Deirdre, wenn ich mit Cyrus Lavalle fertig bin.«
    »Mädchen, du brauchst einen Drink, wenn du eine Stunde mit Cyrus überstehen willst. Fehlt dir was?«
    Ich tat so, als wolle ich ihr einen Kinnhaken versetzen. - »J a. Die Krankheit heißt >Midlife crisis<. Ich muß noch mit den Hunden Gassi gehen, mich umziehen und Small talk machen. Das schaffe ich nie, wenn ich jetzt einen Whisky trinke.« Sie plauderte ein bißchen mit mir, bis Cyrus endlich kam - zwanzig Minuten zu spät. Was für ein Anblick für meine müden Augen: Er trug ein purpurfarbenes Nehru-Hemd und eine lavendelfarbene Seidenhose. Er gab sich höchst erfreut, nicht nur mich, sondern auch Sal und all die anderen Leute zu sehen, die er bei seinen regelmäßigen Barbesuchen traf. Als es mir schließlich gelang, ihn ein wenig zu bremsen, hatte ich trotzdem kein Glück. Das wunderte mich nicht - schließlich sorgten Camillas Frauen nicht für genug Gerede, als daß kleine Angestellte wie Cyrus schon etwas von ihnen gehört hätten. Doch er erklärte sich bereit, umsichtige Nachforschungen anzustellen. »Und für einen Hunderter sage ich dir sogar, was ich erfahre, Warshawski.« »Vergiß es, Cyrus. Für einen Hunderter kann ich mir ein richtiges Stadtratsmitglied kaufen.«
    Er lächelte süffisant. »Sicher. Aber das würdest du nicht. Du wirst ja gleich rot, wenn du jemanden bestichst, und das verdirbt alles.«
    Das sollte vermutlich ein Kompliment sein, doch in Chicago ist es eher eine Schande, wenn man nicht weiß, wie man einen Beamten schmiert. »Aber solche Probleme habe ich bei dir nicht, mein Freund. Fünfzig ist mein letztes Angebot. Mehr ist mir die Sache nicht wert.«
    Er handelte mich auf fünfundsechzig hoch und war wahrscheinlich ganz glücklich, als er sich von mir verabschiedete. Ich jedoch joggte mit dröhnendem Kopf durch die Pfützen zu meinem Wagen zurück. Tamar Hawkings, Darraugh Graham, Phoebe und Camilla - das war einfach zu viel. Ich war Privatdetektivin geworden, weil ich meine eigene Herrin sein wollte. Doch in letzter Zeit schien ich nur noch nach der Pfeife anderer zu tanzen.
    Ich drehte die Heizung des Trans Am voll auf und versuchte, während der langsamen Fahrt nach Hause trockene Füße zu bekommen. Der Nebel war so dicht geworden, daß der Verkehr sowohl auf dem Kennedy- als auch auf dem Lake Shore Drive stockte. Ich kämpfte mich durch die Seitenstraßen, aber trotzdem dauerte die Fahrt eine halbe Stunde.
    Ich sehnte mich nach meiner Badewanne und dem Drink, den ich bei Sal ausgeschlagen hatte, aber auch daheim war mir keine Ruhe vergönnt. Ich zog meinen Jogginganzug an, holte die Hunde von Mr. Contreras ab und brachte sie mit dem Wagen hinüber zum Lake - der Abendnebel war so dicht,

Weitere Kostenlose Bücher