Engel im Schacht
rannte die Treppe, immer zwei Stufen auf einmal, hinunter, damit ich nur ja nicht umkehrte, um sie zu erwürgen.
Kein schöner Anblick
Die Gateway Bank wählte diesen Namen vor einem Jahrhundert, als Chicago noch »the Gateway to the West«, das Tor zum Westen, hieß. In einem neueren Anflug geschäftlichen Wagemuts hatte die Bank einen der ersten Wolkenkratzer erbaut, als sich der Loop Anfang der achtziger Jahre westlich des Chicago River verlagerte. Seitdem rühmte sich Gateway in der Werbung immer wieder seines frisch aufgekeimten Pioniergeistes.
Es war Viertel vor sechs, als ich keuchend das Gebäude der Bank betrat. Es war die Zeit, wo der größte Teil der Angestellten bereits nach Hause strebte. Das hieß, daß lediglich ein Wachmann, ein paar Überstundensammler und ich uns im Foyer aufhielten. Natürlich bestand durchaus die Möglichkeit, daß Eleanor Guziak schon nach Hause gegangen war, aber die meisten leitenden Angestellten blieben länger - selbst wenn sie eigentlich nichts mehr zu tun hatten, denn eine solche Hingabe an die Arbeit hebt den Manager vom Fußvolk ab.
Das Gateway-Foyer war ein Traum aus rotem Marmor und Messing, aber viele Beschäftigungsmöglichkeiten gab es dort nicht. Die Eigentümer hatten nicht daran gedacht, das Erdgeschoß mit Läden zu beleben, und das einzige Kunstwerk weit und breit war eine Fotoserie mit Bankangestellten, die ihre Kunden fröhlich angrinsten. Ich betrachtete lächelnde Schalterbeamte, die alten Damen Bargeld aushändigten, lachende leitende Angestellte mit Schutzhelmen auf Bohrinseln, kernige Manager in guten Anzügen am Steuer von Mähdreschern, bis mir ob all der Grinserei selber der Mund weh tat. Um zehn nach sechs schlenderte der Wachmann zu mir herüber, um sich zu erkundigen, ob ich Hilfe benötigte. Ich lächelte höflich und erklärte, ich warte auf eine Freundin, die Überstunden machen müsse. Er lieh mir seine Sun-Times. Um halb sieben hatte ich der Zeitung alle Informationen entnommen, die sie zu bieten hatte, und kam zu dem Schluß, daß ich Eleanor Guziak wohl verpaßt hatte. Ich gab dem Wachmann seine Zeitung zurück und ging.
Mein Instinkt ließ mich noch einmal zurückschauen, als ich gerade einen Bus nach Osten bestieg. Eleanor Guziak schritt durchs Foyer, Aktentasche in der Hand, den Kopf respektvoll schräggelegt, während sie alle Weisheiten dieser Welt aus Donald Blakelys Mund vernahm. Ich stieg wieder aus. Der Fahrer fluchte und fuhr mit aufheulendem Motor davon.
Als Eleanor und Donald auf den Lift zugingen, der in die Tiefgarage des Gebäudes führte, biß ich mir auf die Lippe. Es gibt keine halbwegs natürliche Methode, jemandem zufällig zu begegnen, der mit dem Auto wegfährt, es sei denn, man baut einen Auffahrunfall, was den Betroffenen nicht eben aufgeschlossen macht für die gespielte Überraschung und Freude über das Zusammentreffen, die man selbst an den Tag legt. Der Lift kam. Donald betrat ihn. Eleanor winkte ihm zum Abschied und gesellte sich zu mir, um auf den Bus zu warten. Ich spielte Überraschung und Freude.
»Ach, sind Sie nicht Eleanor Guziak? Ich bin Vic Warshawski - wir haben uns Mittwochabend bei den Messengers kennengelernt.«
Natürlich erinnerte sie sich an mich, welche Freude, mich so bald schon wiederzusehen, was für ein Zufall, daß ich gerade bei einem Klienten gleich gegenüber von ihrem eigenen Büro gewesen war.
Jetzt, wo sie tatsächlich neben mir stand, war ich mir nicht so sicher, wie ich vorgehen sollte. Ich fragte sie, wo sie hinwollte, hoffend, daß es sich um einen Ort handelte, zu dem ich ihr folgen konnte, ohne ihre Aufmerksamkeit zu erregen, nicht zum Beispiel in den Kindergarten, wo sie ihre Sprößlinge abholte. Doch ihr Ziel erwies sich als die zweitschlechteste Alternat ive - sie wollte zu ihrem Fitness klub.
»Haben Sie davor noch Zeit auf einen schnellen Drink?« fragte ich hoffnungsvoll, doch Eleanor ließ sich nicht von ihren Plänen abbringen: Sie war die ganze Woche noch nicht im Fitneßklub gewesen.
Da der letzte Bus gerade erst weggefahren war, hatte ich mit ein bißchen Glück ungefähr fünfzehn Minuten hier mit ihr an der Haltestelle. Das war natürlich nicht der ideale Befragungsort, aber immerhin besser als gar nichts. Wir unterhielten uns darüber, wie hart es war, Vollzeit zu arbeiten und Überstunden zu machen und obendrein noch was für den Körper zu tun, aber natürlich funktioniert der Geist besser, wenn man körperlich fit ist, bloß war es im Winter ziemlich
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