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Engel im Schacht

Engel im Schacht

Titel: Engel im Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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schützen vielleicht ...
    Andererseits hatte Deirdre auch kein Hehl daraus gemacht, daß sie jemanden erwartete, wahrscheinlich Fabian. Und ich hatte persönlich erlebt, wie schnell Fabian in Rage geraten und sie verprügeln konnte.
    Ich zog meinen Schuh wieder an und ging die Treppen zum Foyer hinunter. Um die Polizei anzurufen, mußte ich das Telefon im Coffee-Shop benutzen, damit ich die Fingerabdrücke, die sich vielleicht auf meinem eigene n befanden, nicht verschmierte.

Tabula rasa
    »War nicht deine beste Vorstellung, Vic.« Terry Finchley unterhielt sich in einem Vernehmungszimmer im First District mit mir.
    Mary Louise Neely, die gerade die Polizeischule absolviert hatte, führte Protokoll. Wie immer hielt sie sich kerzengerade, und ihre kupferfarbenen Haare klebten so platt an ihrem Kopf, als seien sie aufgemalt.
    »Ich weiß. Ein richtiger Profi würde am Tatort nie kotzen, und ich bedauere mein Fehlverhalten zutiefst.« Neely zögerte keinen Augenblick, meine Antwort zu Protokoll zu nehmen.
    Finchley schüttelte den Kopf. »Spar dir deinen Witz für den Lieutenant - der mag's, wenn du ihn hochnimmst. Das Haus, in dem dein Büro ist, kracht schon fast zusammen. Warum läßt du eine Frau wie Deirdre Messenger, die sich da nicht auskennt, allein dort?«
    Es war schon das dritte Mal, daß er mir die gleiche Frage stellte. Allmählich hatte ich die Nase voll. »Okay, ich sage alles, Detective. Ich habe Deirdre in das Gebäude gelockt - aus Gründen, die ich Ihnen nicht verraten werde, damit Sie bei meiner Verhandlung auch noch was zu staunen haben - und ihr den Kopf eingeschlagen.« Finchley lächelte nicht, runzelte nicht die Stirn, machte keinen Mucks, sondern starrte mich an wie ein Tierchen im Labor - eins, das er schon mindestens eine Million Mal gesehen hatte. Undurchdringliches Schweigen kann eine sehr effektive Vernehmungstechnik sein. Das Opfer versucht, sich vorzustellen, was der Polizist denkt, welche Beweise er möglicherweise noch in der Hinterhand hat, bis das Schweigen beängstigende Ausmaße annimmt und das Opfer zu plappern anfängt. Ich machte es mir auf meinem Stuhl bequem und konzentrierte mich auf »Vissi d'arte«. Ich kenne Terry Finchley seit Jahren, seit damals, als er ganz frisch im Team von Bobby Mallory anfing - das war der Lieutenant, der sich ab und zu ganz gern von mir auf den Arm nehmen ließ. Finchley und ich hatten uns immer gut verstanden. Aber seit ich mit Conrad zusammen war, hatte sich seine Einstellung mir gegenüber verändert.
    Terry ist Conrads bester Freund bei der Polizei - sie sind zusammen auf die Polizeischule gegangen und haben einander gegenseitig über die Kümmernisse hinweggeholfen, mit denen Pioniere eben zu kämpfen haben: Sie gehörten zu den ersten schwarzen Beamten in taktischen Einheiten. Finchley meint, daß ich auf so einem weißen Liberalentrip bin und Conrad wie eine heiße Kartoffel fallenlasse, wenn sich der Tick wieder gibt. Sein Lächeln ist nun immer ziemlich frostig, wenn er mich sieht. Aber heute lächelte er überhaupt nicht.
    Ich wich seinem Blick aus und beobachtete statt dessen Mary Louise Neelys linke Hand, während ich mich auf Puccini zu konzentrieren versuchte. Ich war beim tragischen Höhepunkt der Arie angelangt, wo Tosca den Himmel fragt, warum ihre Frömmigkeit so schlecht belohnt wird, als Finchley endlich sein Schweigen brach. »Ich hacke immer wieder auf diesem Punkt herum, weil du trotz deiner ganzen anderen Fehler eigentlich nicht grausam bist. Ich versuche einfach herauszukriegen, warum du Ms. Messenger allein dort gelassen hast, wenn nicht aus Rachsucht.« »Das würde doch voraussetzen, daß ich von dem Schicksal wußte, das sie erwartete«, wehrte ich mich. »Ich arbeite sogar jetzt, wo in dem Gebäude nur noch fünf oder sechs Mieter sind, oft noch am Abend. Der südliche Loop ist in der Nacht gespenstisch, das gebe ich zu, aber er gehört zu den sichersten Teilen der Stadt - das weißt du so gut wie ich.
    Deirdre hat unbedingt in meinem Büro bleiben wollen, als ich meine Sachen zusammengepackt habe, um heimzufahren. Ich bin nicht sonderlich gut mit ihr zurechtgekommen - sie konnte gleichzeitig ziemlich aggressiv und schrecklich verletzt sein. Gestern abend hat sie die beiden Emotionen so geschickt ausgespielt wie Paganini. Außerdem hat sie - und das werden dir alle bestätigen, die uns beide kennen - immer wieder gesagt, daß sie unglaublich gut mit obdachlosen Frauen zurechtkommt. Sie war sich ganz sicher, sie würde

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