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Engel im Schacht

Engel im Schacht

Titel: Engel im Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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an meiner Bürotür.

Senatorenprivilegien
    Ich war so erschrocken gewesen, Deirdre tot in meinem Büro zu finden, daß mir überhaupt nicht aufgefallen war, wie es dort ausschaute. Nachdem die Leute von der Spurensicherung sich darüber hergemacht hatten, war es schwer zu sagen, wieviel davon durch den Mord verursacht worden war und wieviel die Polizei dazu beigetragen hatte. Natürlich hatte niemand Deirdres Blut weggewischt. Große geronnene Klumpen klebten an meinem Schreibtisch und meinem Stuhl, und der Abdruck meiner Hand war noch immer zu sehen in den getrockneten Resten ihres Gehirns auf dem Boden. Uberall lag Papier herum. Jemand hatte sich die Akten aus zehn Jahren mit lockerer Hand angesehen und das, was ihn nicht interessierte, einfach auf Stühle und Boden, ja sogar aufs Fensterbrett geschleudert. Und über allem lag eine dicke Schicht von dem Pulver, mit dem die Fingerabdrücke sichergestellt worden waren. Die Hüter von Recht und Ordnung hatten es sogar über mein Nell-Blaine-Poster gestreut. Ich schluchzte laut auf. »77 calmi«, sagte ich laut und imitierte dabei die Stimme meiner Mutter, um das Gewitter, das sich in mir zusammenbraute, zurückzudrängen. Ich lieh mir Gabriellas festen Blick und betrachtete das Chaos. Vielleicht hatte ich nicht viel Zeit: Schließlich wußte ich ja nicht, ob die Polizei wiederkommen würde. Jedenfalls hätte mich im nachhinein die Angst fast dazu gebracht, aus dem Zimmer zu rennen, in dem die vor kurzem Verstorbene gelegen hatte. Die Haut hinter meinen Ohren begann zu prickeln, als atme Deirdres Geist noch immer die Luft dieses Raums. Ich kratzte mich am Ohr und ging auf Zehenspitzen zum anderen Ende meines Schreibtischs.
    Ich suchte die Schublade, i n der ich normalerweise meine Disketten aufbewahre. Finchley hatte recht: Sie waren verschwunden. Ich schaute auch in die anderen Schubladen in der vergeblichen Hoffnung, daß ich sie vielleicht nur verlegt hatte, fand aber nichts. Sogar die Schachtel mit meinen unformatierten Disketten war verschwunden.
    Wenn ich keinen Computer mehr hatte, was brauchte ich dann noch, um mir zu Hause ein Büro einzurichten? Ganz bestimmt nicht meinen Drucker. Und wie sollte ich meine wichtigen Akten aus dem Chaos auf dem Boden heraussortieren? Lediglich meine Rollkartei würde sich wahrscheinlich als hilfreich erweisen. Also packte ich sie zusammen mit dem Telefon und sah mich ein letztes Mal um. Auf dem Weg nach draußen nahm ich noch das Nell-Blaine-Poster und Gabriellas Kupferstich von den Uffizien von der Wand.
    Nachdem ich alles in einen Karton gesteckt hatte, ging ich so schnell ich konnte die Stufen zum Foyer hinunter. Ich war darauf gefaßt, mir meinen Weg durch einen Polizeikordon zu bahnen und hinaus in die Freiheit zu sprinten, aber im Foyer war noch immer kein Mensch zu sehen. Trotzdem rannte ich den ganzen Weg bis zur Garage wie von Furien gehetzt. Ich wünschte mir nichts sehnlicher als ein Bad, um den Schmutz des Aufzugs, die Überreste von Deirdres Gehirn, den Mord und die Verwüstung, abzuwaschen.
    Mr. Contreras kam mir im Flur entgegen, als ich das Haus betrat. Seine ausgewaschenen braunen Augen schauten mich voller Panik an. »Alles in Ordnung, Kleines? Ich hab' die Nachrichten im Radio gehört, beim Essen. Was ist denn passiert? Wer war die Lady? Warum war sie in Ihrem Büro?«
    Die Hunde gesellten sich zu uns. Mitch, der schon fast fünfzig Kilo wog und immer noch weiterwuchs, sprang an mir hoch und brachte mich aus dem Gleichgewicht. Der Karton fiel mir aus der Hand. Telefon, Rollkartei und Bilder klapperten auf den Boden. Das Glas des Uffizienbildes brach. Der Holzrahmen splitterte und löste sich von dem Kupferstich. Mein Vater hatte meiner Mutter den Walnußholzrahmen einmal zu Weihnachten selbst gemacht, er hatte das Holz mit Sandpapier abgeschliffen, bis es glänzte. Gabriella hatte das Bild übers Klavier gehängt, wo sie es sehen konnte, während sie den Nachbarskindern dabei zuhörte, wie sie »Old MacDonald Had a Farm« oder »Alle meine Entchen« spielten.
    Ich drückte den Hund mit schwerer Hand weg. Der Magen tat mir weh. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als mich im Bett und in der Welt des Schlafes zu verkriechen, einen Ort zu finden, wo mich hundert Jahre niemand mehr stören würde.
    Mr. Contreras packte mich am Arm und zog mich in seine Wohnung. »Setzen Sie sich, Kleines. Sie sind erschöpft, und die Hunde strengen Sie nur an. Ruhen Sie sich ein bißchen hier im Sessel aus. Ich bringe Ihre

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