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Engel im Schacht

Engel im Schacht

Titel: Engel im Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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Tamar Hawkings dazu überreden können, sich helfen zu lassen.«
    Es fiel mir schwer, in Worte zu fassen, wie sehr mich das Gespräch mit Deirdre am Vorabend verwirrt hatte. Ich hatte ihr den Schlüssel gegeben, weil sie mich aus dem Gleichgewicht gebracht hatte - ich hatte nichts wie weggewollt von ihr. Es beunruhigte mich, daß sie mich so durcheinandergebracht hatte. Ich hatte nicht darauf geachtet, in welcher Verfassung sie selbst war. Hatte sie Angst gehabt, war sie aufgeregt gewesen, euphorisch? Ich konnte es einfach nicht sagen.
    »Ich wüßte gern, wen sie im Pulteney erwartet hat«, fügte ich hinzu. »Ich hatte den Eindruck, daß sie ihrem Mann den Fehdehandschuh hingeworfen hat. Er hatte sich über ihre mangelnden Fähigkeiten lustig gemacht - wenn du einen wirklich grausamen Menschen kennenlernen willst, dann warte, bis du ihn siehst -, und sie wollte ihm beweisen, daß sie nicht nur mutig, sondern auch fähig war.«
    Während der ganzen Befragung hatte Mary Louise Neely auf ihrem Stuhl gesessen wie eine Puppe mit einer batteriebetriebenen linken Hand. Bei meiner letzten Äußerung veränderte sich ihr Gesichtsausdruck ein wenig. Ich hatte den Eindruck, daß sie gequält zusammenzuckte, aber die Veränderung war so flüchtig, daß ich sie mir gut und gern eingebildet haben konnte.
    Endlich hörte Finchley auf, mich zu fragen, warum ich Deirdre so schmählich allein gelassen hatte, und wandte sich den Prüfungen der Tamar Hawkings zu. Sobald ich ihm erklärt hatte, warum Deirdre im Pulteney bleiben wollte, hatte er natürlich sofort einen Trupp losgeschickt, der Tamar suchen sollte. Wenn sie nicht selbst Deirdre den Kopf eingeschlagen hatte - aus Zorn über diese reiche Besserwisserin, die ihr sagen wollte, was sie tun sollte -, hatte sie vielleicht wenigstens den Mörder gesehen.
    Ich mußte mir immer wieder bewußt machen, daß Tamar Hawkings keine Fata Morgana gewesen war, daß ich tatsächlich mit ihr gesprochen hatte. Denn selbst mit drei Kindern im Schlepptau bewegte sie sich wie ein Insekt auf dem Wasser - sie hinterließ nicht die geringste Spur.
    Ich machte mir Sorgen um sie und ihre drei kranken, hungrigen Kinder. Trotzdem freute ich mich über ihr Verschwinden. Halt dich fern von den Polizisten, beschwor ich ihr Phantom: Es wäre ein leichtes für die Staatsanwaltschaft, einer labilen Obdachlosen Deirdres Tod anzuhängen.
    »Na schön, Vic«, meinte Finchley schließlich. »Schluß damit. Du hast Glück gehabt, daß man mich und Neely benachrichtigt hat. Wenn ein Fremder dich mit einer Toten in deinem Büro angetroffen hätte, würdest du hier ohne Kaution nicht wieder rauskommen.«
    »Herzlichen Dank, Terry. Es ist beruhigend zu wissen, daß wir in einem Polizeistaat leben, in dem man nur dann geschützt wird, wenn man die richtigen Leute kennt ... Aber bevor ich gehe, habe ich noch eine Frage an dich. Steht Fabian Messenger auch auf eurer Liste der Verdächtigen?«
    Terry kniff den Mund zusammen. »Du brauchst uns nicht zu sagen, wie wir unseren Job machen sollen, Vic. Jedes Kind weiß, daß die nächsten Verwandten die besten Verdächtigen abgeben. Wir schicken jemanden hin, der sich mit ihm unterhält - nachdem wir ihm mitgeteilt haben, daß seine Frau tot ist.«
    Ich schenkte ihm ein Lächeln. »Ich bin mir sicher, daß ihr sanft und diskret vorgehen werdet. Ich hoffe nur, daß die ganzen Richter und Senatoren, die er kennt, euch nicht blenden werden.«
    »Anders als die öffentliche Meinung diskriminieren wir niemand aufgrund seines Reichtums oder seines Einflusses«, meinte Finchley steif. »Neely wird dir heute noch was zum Unterschreiben vorlegen, ich wäre dir also dankbar, wenn du noch mal vorbeischauen könntest.«
    Das versprach ich ihm, obwohl ich nicht vorhatte, seinem Wunsch nachzukommen: Wenn sie etwas von mir wollten, sollten sie gefälligst zu mir kommen. »Übrigens«, meinte Finchley ganz beiläufig, doch ich wußte: Diese Beiläufigkeit deutete darauf hin, daß er mir eine wichtige Frage stellen wollte. »Wir würden gern wissen, wo die fehlenden Beweise sind. Du hast genug Zeit gehabt, sie verschwinden zu lassen, bevor du uns gerufen hast.«
    Ich lächelte ihn im Stehen an. »Das ist ein billiger Trick, Terry. Ich habe nicht den blassesten Schimmer, wovon du redest. Aber wenn du so weitermachst, rufe ich nicht zuerst meinen Anwalt an, sondern ein paar Zeitungsreporter. Die wollen meine Story sowieso.«
    »Deine Akten, Warshawski. Wir würden sie uns gern ansehen, um

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