Engel im Schacht
Maus zwischen zwei Katzen.< Igitt. Zeigen wir's Eva. Die soll einen Blick drauf werfen.«
Eva Kuhn, die Therapeutin von Arcadia, leitete gerade eine Gruppentherapiesitzung, erklärte Marilyns Assistentin uns. In einer halben Stunde könne sie mit uns reden. Marilyn brachte mich in ihr Büro, wo wir warteten.
Das Zimmer war spartanisch mit den ausgemusterten Büromöbeln von ein paar Sponsoren des Arcadia House aus der freien Wirtschaft eingerichtet. Marilyn hatte sich redlich Mühe gegeben, den Raum mit Pflanzen ein bißchen freundlicher zu gestalten. Kunstwerke der Bewohnerinnen verliehen ihm eine gewisse Exzentrik und machten ihn bunter.
Während wir abgestandenen Kaffee tranken, kamen immer wieder Frauen und Kinder herein. Marilyn begrüßte sie alle namentlich und mit einer persönlichen Frage - hatte ein Kind in der Kunststunde am Morgen eine Krone gebastelt? War die Mutter am Vortag bei der Berufsberatung gewesen? -, dann führte sie die Unterhaltung mit mir fort, ohne eine Sekunde Zeit zu verlieren. Kein Wunder, daß sie einen Beirat brauchte, der sie unterstützte und ihr nicht auch noch etwas abverlangte. »Hast du schon was gefunden für den Jungen, dem du helfen sollst?« erkundigte sie sich.
»Ach, du lieber Himmel! Mein Broterwerb. Den habe ich völlig vergessen. Ich habe bloß noch bis Freitag um fünf Zeit.
Ich komme mir vor wie Gary Cooper in Zwölf Uhr mittags.« Ken - MacKenzie - Graham und der verdammte Job, den er machen sollte.
»Hast du's schon mal bei Home Free probiert?« wollte Marilyn wissen.
Ich warf ihr einen anerkennenden Blick zu. »Das ist eine tolle Idee. Nicht bloß für den jungen Graham, sondern auch wegen der Sache mit Deirdre. Sie hat ziemlich viel Arbeit für Home Free geleistet. Vielleicht wissen die etwas über sie, was wir nicht wissen.«
»Etwas, das dich zu Emily führen könnte?« Marilyn war skeptisch. »Dann kann ich mich besser auf Deirdres Mörder konzentrieren, und die Polizei läßt erst mal die Finger von Emily und Tamar Hawkings. Das heißt, falls Tamar jemals wieder auftaucht. Glaubst du, ein vierzehnjähriges Mädchen hat die Kraft, seiner Mutter den Kopf einzuschlagen?«
»Deirdres Tochter? Du glaubst doch nicht wirklich... « Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann natürlich kein wirkliches Urteil über den Charakter eines Mädchens abgeben, das ich nie gesehen habe. Aber ich weiß, daß Menschen manchmal unberechenbar sind. Wir haben eine Weile eine Frau hier gehabt - sie sitzt jetzt zehn Jahre ein -, die ihren Mann mit Lauge übergössen hat, als er schlief, und dann mit Melasse. Er ist dran gestorben, weil er das ätzende Zeug nicht abwaschen konnte. Sie ist nicht mal einsfünfzig groß. Dem Gericht war es egal, daß sie nur einen einzigen größeren Knochen im Leib hat, den der Kerl ihr noch nicht gebrochen hatte. Außerdem muß man zugeben, daß das eine besonders grausige Art ist, jemanden umzubringen. Also stelle ich lieber keine Mutmaßungen darüber an, was ein Mädchen seiner Mutter antun könnte. Allerdings bin ich natürlich eher auf deiner Seite - mir wär's auch lieber, wenn du den Mann überführen könntest.«
»Natürlich bloß, wenn er wirklich schuldig ist«, murmelte ich.
Eva kam herein, als Marilyn gerade spöttisch lachte. »Das sehe ich gern: Ein fröhliches Gesicht unter unseren Mitarbeitern. Wie geht's, Vic? Möchtest du eine Stunde Therapie bei mir machen? Ich bin grade schön in Fahrt und nehm's mit jedem auf.« »War 'ne schlechte Sitzung, was?« meinte Marilyn. »Wir brauchen deine diagnostischen Fähigkeiten. Sag ihr nicht, wer's geschrieben hat, Vic. Laß es sie zuerst lesen.«
»Soll ich raten?« Eva sah mir zu, während ich Emilys Namen überklebte. »In der Ausbildung kriegt man Fallstudien, mit deren Hilfe man eine Diagnose stellen und eine Therapie vorschlagen soll, aber ein Stück Papier hat mir noch nie jemand gegeben und mich gebeten, daraus eine Fallstudie zu machen.«
Sie hatte Basketball gespielt, zuerst für Tennessee und dann als Profi in Japan, bevor sie sich für eine Laufbahn als Sozialarbeiterin entschieden hatte. Wie sie so dastand mit ihrer Jeans und den hochgekrempelten Ärmeln ihrer weißen Bluse, unter denen ihre muskulösen Arme hervorschauten, ähnelte sie immer noch eher einer Sportlerin als einer Therapeutin. Manchmal versuche ich, mich sportlich mit ihr zu messen, aber sie ist zehn Jahre jünger als ich, und ich kann ihr in puncto Fitneß nicht das Wasser reichen. Ich habe mich oft gefragt, ob
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